Börsen-Zeitung: Kurze Beine, Marktkommentar von Dietegen Müller
Geschrieben am 08-04-2016 |
Frankfurt (ots) - Die Erholungsrally in Rohstoffen und Aktien
stockt. Im Ölmarkt etwa ist der Angebotsüberhang noch länger nicht
abgebaut. Auffällig ist nun, dass Dax und Euro Stoxx 50 seit Anfang
April sich weniger gut als US- und Schwellenländeraktien entwickelt
haben. Seit der Sitzung der US-Notenbank Mitte März verzeichneten die
Emerging Markets einen starken Kapitalzufluss, wie Daten des
Institutes of International Finance zeigen. Und gemäß der People's
Bank of China nahmen im März in Sonderziehungsrechten berechnet die
Währungsreserven erstmals seit November vergangenen Jahres wieder zu.
Mit den Ankündigungen der kommunistischen Regierung,
wachstumsstimulierende Maßnahmen zu ergreifen, hat dies den
Abwärtsdruck auf die chinesische Währung verringert. Die Zweifel sind
nicht ausgeräumt, ob das chinesische Experiment wie von der Partei
gewünscht ausgehen wird.
Diese Unsicherheit strahlt gerade auf Deutschland ab. Die
Abhängigkeit der deutschen Industrie von Aufträgen aus Asien ist
überproportional hoch. Dies dürfte die Underperformance des Dax
erklären, die auf Sicht von einem Jahr mit gut einem Fünftel
signifikant größer als die Aufwertung des Euro um einige
Prozentpunkte ist. Nicht viel besser sieht es aber auch insgesamt mit
den europäischen Werten aus.
Es gibt viele Erklärungsansätze, warum dies so ist. Erwartetes
dürftiges Wachstum und nicht zuletzt eine vermutete Wirkungslosigkeit
der Geldpolitik - verwiesen wird auf Japan - sind Risiken. Eine
Vielzahl an Mikrofaktoren kommt dazu. Ein gelistetes Unternehmen
verdient nicht per Gesetz seine Kapitalkosten. Im Dax sind eine
Beiersdorf, Daimler, ProSieben Sat.1 oder Henkel, die stattliche
Renditen auf ihr investiertes Kapital erzielen, nicht per se die
Regel.
Bleibt das Wachstum in den Schwellenländern schwach, geraten alle
Unternehmen unter Druck, die noch das Kunststück geschafft haben, den
Unternehmenswert knapp steigern zu können. Hinzu kommen neue
Wettbewerber, die digitale Geschäftsmodelle ausrollen. Jüngstes
Beispiel ist der angekündigte Vorstoß von Amazon, in Deutschland in
die Paketzustellung investieren zu wollen. Die Anleger der Deutschen
Post macht dies zu Recht unruhig.
Doch auch in den USA mit einer weniger stark alternden
Gesellschaft und höheren erwarteten Wachstumsraten ist nicht alles
Gold, was glänzt. Ein Blick auf die erwartete Cash-flow-Entwicklung
zeigt, dass für die 30 Dax-Werte wie auch für die Titel im S&P 500 in
diesem Jahr die Bloomberg-Schätzungen mit einem Anstieg des
Kurs-Cash-flow-Verhältnis rechnen. Will sagen: Das
Cash-flow-Wachstum, aus dem ein Aufwärtsimpuls für die
Bewertungsmultiples kommen könnte, fehlt. Und was geschieht, wenn der
Mittelzufluss gar nicht mehr rentabel genug reinvestiert werden kann?
Die Optimisten werden sagen: Wettbewerb gab es immer, die
Unternehmen sind anpassungsfähiger als gedacht, die Tiefstzinsen
erleichtern es, wachstumsmehrende Investitionen zu tätigen, da die
Kapitalkosten sinken. Auch erscheint die Bewertung nicht übertrieben
hoch. Pessimisten werden sagen: Was früher war, wird nicht mehr sein.
Die Weltwirtschaft wird nie mehr frühere Wachstumsraten erreichen
können. Deshalb nimmt der Verteilungskampf global zu: Der Kuchen
wächst in absoluten Zahlen noch stattlich, aber die Zahl der Akteure,
die daran teilhaben will, steigt. Zugleich fehlt es demografisch
bedingt im Heimatmarkt für europäische Unternehmen an Wachstum.
Unter diesen Gesichtspunkten sieht Europa in einem Portfolio
tatsächlich alt aus. Hinzu kommen spezifische politische Risiken,
angefangen vom möglichen Brexit über eine neuerliche Zuspitzung der
Krise in Griechenland und einen schleichenden Zerfall der
Staatengemeinschaft. Auch hiesige Bankaktien signalisieren
Deplorables.
Hat die Rally also kurze Beine? All dies legt dies nahe. Doch
nichts von dem, was hier geschrieben steht, ist nicht schon im Markt
bekannt. Es müssen unbekannte Faktoren sein, die den Anstoß für die
nächste Korrektur oder die Fortsetzung der Rally geben. Ohne aktive
Auseinandersetzung mit einzelnen Unternehmen wird in einem solchen
Umfeld kaum eine Überrendite erzielbar sein. Umgekehrt winken
angesichts der hohen Risikoprämien womöglich stattliche Gewinne. Die
krisenhaften siebziger Jahre zeigen, dass gerade in Seitwärtsmärkten
mit Momentumstrategien und Stock Picking erhebliche Überrenditen zu
erreichen waren.
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Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de
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