WDR-Recherchen: Radioaktive Öl- und Gasabfälle im Grundwasser - GdF Suez soll über Jahre illegal eine undichte Bohrschlamm-Deponie in Sachsen-Anhalt betrieben haben
Geschrieben am 20-04-2016 |
Köln (ots) -
Sperrfrist: 20.04.2016 05:00
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Der französische Energiekonzern GdF Suez (heute "ENGIE") hat in
Brüchau (Sachsen-Anhalt) über Jahre hinweg eine Bohrschlammgrube für
gefährliche Öl- und Gasabfälle betrieben, obwohl diese undicht war.
Nach Recherchen des WDR wusste der Konzern seit Mitte 2000, dass
Schadstoffe aus der Deponie - darunter radioaktives Radium - ins
Grundwasser gelangten. Nach Ansicht des Aachener Umweltjuristen
Hans-Jürgen Müggenborg war der Betrieb der Bohrschlammgrube
spätestens ab diesem Zeitpunkt illegal.
Dem WDR liegt unter anderem ein Gutachten aus dem Jahr 2000 vor, in
dem stark erhöhte Werte des radioaktiven Radium226 im Grundwasser
rund um die Bohrschlamm-Deponie nachgewiesen wurden. Brüchau ist eine
der größten Bohrschlammgruben auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und
befindet sich in der Altmark, einem der wichtigsten
Erdgasfördergebiete Deutschlands. Die Gutachter kommen zu dem
Schluss, dass die Radium-Kontamination eindeutig auf die Deponie
zurückzuführen ist.
Interne Schriftstücke aus dem Unternehmen, die der WDR einsehen
konnte, belegen, dass GdF-Suez spätestens seit Mitte 2000 von der
Grundwasserverseuchung wusste. Eine daraufhin von dem Unternehmen
beantragte "wasserrechtliche Genehmigung", die den Weiterbetrieb der
Deponie trotz der Grundwasserbelastung hätte legalisieren können,
wurde nach WDR-Recherchen von der zuständigen Bergbehörde im November
2002 ausdrücklich verwehrt.
Anschließend wurde die Bohrschlammgrube - mit Duldung des zuständigen
Landesbergamtes - noch zehn Jahre lang zur Entsorgung gefährlicher,
teils radioaktiver Abfälle aus der Öl- und Gasindustrie genutzt. Mit
großer Wahrscheinlichkeit wurden in Brüchau auch radioaktive Öl- und
Gasabfälle aus anderen Bundesländern entsorgt, insbesondere aus
Niedersachsen. Dem WDR liegt eine Liste des Landesbergamtes
Niedersachsen vor, in der unter den "Entsorgungsstätten für natürlich
vorkommende radioaktive Stoffe der Erdöl-/Erdgasindustrie" auch die
Firma "Gaz de France Produktion Exploration Deutschland GmbH" mit
Sitz in Salzwedel auftaucht - jene Firma, die auch die
Bohrschlammgrube in Brüchau betreibt.
Nach Ansicht des Aachener Umweltjuristen Prof. Hans-Jürgen Müggenborg
war der Betrieb der Deponie spätestens seit feststand, dass sie
undicht ist, illegal. "Die nachteilige Veränderung des Grundwassers
ist untersagt, nicht nur dort, wo Grundwasser zur
Trinkwasserversorgung genutzt wird", sagte Müggenborg gegenüber dem
WDR. Deshalb hätte man reagieren und den weiteren Betrieb der Deponie
stoppen müssen. Illegal war der Betrieb der Deponie nach Auffassung
des Juristen aber auch deshalb, weil dort zumindest zu DDR-Zeiten
nachweislich unterschiedliche Sonderabfälle diverser
Industriebetriebe wie zum Beispiel cyanidhaltige Galvanikschlämme
abgelagert worden sind, die Deponie aber nur für bergbauliche Abfälle
zugelassen war.
Das für die Aufsicht zuständige Landesbergamt Sachsen-Anhalt
bestreitet nicht, dass aus der Bohrschlammgrube Brüchau Schadstoffe
ins Grundwasser gelangen, rechtfertigt aber den Weiterbetrieb mit
Besonderheiten des Bergrechts. Ähnlich argumentiert die
Betreiberfirma. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt die
heutige "ENGIE E&P Deutschland" gegenüber dem WDR, es habe "aus Sicht
des Unternehmens" (...) zu jeder Zeit ein zugelassener Betriebsplan
für die Deponie Brüchau" bestanden.
Aber das Bergrecht decke keine Verunreinigung des Grundwassers, sagt
Umweltjurist Müggenborg: "Es gibt keine einzige Vorschrift, die
besagt, dass im Bereich des Bergbaus das Wasserrecht nicht gilt."
Wegen des Weiterbetriebs der Bohrschlammgrube müssen die
Verantwortlichen des Unternehmens und der Aufsichtsbehörde nach
Einschätzung von Prof. Müggenborg auch mit strafrechtlichen
Konsequenzen rechnen. "Das konzertierte Nichtstun über einen sehr
langen Zeitraum von mehr als zehn Jahren halte ich auch
strafrechtlich für ausgesprochen kritisch", so Prof. Müggenborg im
WDR.
Einer der Verantwortlichen dürfte der frühere CDU-Landtagsabgeordnete
Jürgen Stadelmann sein. Er war von 1998 bis 2006 Leiter der für die
Untersuchung der Deponie Brüchau zuständigen "Abteilung
Umweltanalytik" bei GdF Suez. 2009 wurde er zum Staatssekretär im
Umweltministerium von Sachsen-Anhalt berufen. Nachdem er in einen
Umweltskandal verwickelt war, trat er 2011 von diesem Posten zurück.
Heute leitet Stadelmann die "Landesanstalt für Altlastenfreistellung"
in Magdeburg - eine Behörde, die unter anderem für die inzwischen
stillgelegte Deponie Brüchau zuständig ist.
In Deutschland gibt es geschätzt rund 1400 Bohrschlammgruben, in
denen gefährliche und teils radioaktiv belastete Abfälle der Öl- und
Gasindustrie lagern. Am Beispiel der Grube Brüchau in Sachsen-Anhalt
ist es dem WDR erstmals gelungen, anhand von internen Dokumenten und
Zeugenaussagen ein umfassendes Bild einer solchen Deponie zu
erstellen - von den eingelagerten Schadstoffen über nachgewiesene
Umweltbelastungen bis hin zu Fehlleistungen und möglichen
Gesetzesverstößen von Betreiber und Behörden.
Pressekontakt:
WDR Presse und Information
Telefon 0221 220 7100
E-Mail: wdrpressedesk@wdr.de
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