Börsen-Zeitung: Mehr als nur lästig, Marktkommentar von Dietegen Müller
Geschrieben am 06-05-2016 |
Frankfurt (ots) - Die Welt ist für europäische Unternehmen nicht
einfach. Da sitzen sie auf riesigen Cashbergen - Schätzungen für die
im Stoxx 600 enthaltenen Unternehmen gehen derzeit von rund 2,3 Bill.
Euro aus - und genießen außergewöhnlich günstige
Finanzierungskonditionen, nicht zuletzt dank der Europäischen
Zentralbank. Doch das immer noch anämisch anmutende
Wirtschaftswachstum, technologische Herausforderungen und politische
und regulatorische Unwägbarkeiten lassen sie vor Investitionen
zurückscheuen.
Wenn investiert wird, dann womöglich am falschen Ort, zu teuer
oder unter so hohem Innovationsdruck, dass Forschung und Entwicklung
realistischerweise stärker von Versuch und Irrtum als von bald
messbaren Resultaten geprägt ist. Für die Mehrheit der Unternehmen
dürfte es derzeit schwierig sein, ihre Kapitalrendite substanziell
nach oben zu bringen. So fehlt auch der Treibstoff für anhaltend
steigende Kurse am Aktienmarkt.
Möglich, dass Investoren dies zunehmend als Missstand wahrnehmen.
Die spannende Frage ist, ob sich ihr Verhalten ändern wird. Aus
angelsächsischer Sicht gelten europäische Investoren als zahm, wenig
konfrontativ und als Berater denn als Sparringpartner. Auch, weil
europäische Unternehmen anders als amerikanische traditionell engere
Bande mit Banken als mit Investoren pflegen.
Es wird sich zeigen, ob sich dieses Modell der "Cohabitation"
überholt hat. Das Umfeld bleibt schwierig - für beide Seiten. Woher
soll im Nullzins- und Kaum-Wachstum-Umfeld die Rendite herfliegen?
Ist dabei die Qualität des Geschäftsmodells, in das investiert wird,
und die des Managements hinreichend? Der Raum auch in Europa für
stärker aktivistisch geprägtes Selbstverständnis ist offen. Seit 2010
haben sich aktivistische Kampagnen laut dem Magazin "Forbes" in
Europa mehr als verdoppelt. Deutschland steht nicht im Fokus, die
meisten Kampagnen fanden in Großbritannien, Frankreich, Österreich,
der Schweiz und Irland statt.
Glückliches Deutschland, weil hier die Unternehmen besser gemanagt
sind? Mag sein, auch der schlechte Ruf von Aktivisten als
"Heuschrecken" dürfte mit dazu beitragen. Aktivisten sind meist
öffentlichkeitssüchtig. Dabei sind ausdrücklich nicht Leerverkäufer
vom Schlage Muddy Waters gemeint, die auch im Kapitalmarkt als
"Anomalie" gelten. Die Ruhe könnte aber für das Management vieler
Unternehmen trügerisch sein, wenn die Renditen institutioneller
Investoren immer mehr als unzureichend angesehen werden.
Aktivisten spalten die Kapitalmarktakteure genauso wie die breite
Öffentlichkeit, derer sie sich im Erreichen ihrer Ziele gern
bedienen. Die Erwartung ist rational, den Investments von Aktivisten
wie Bill Ackman, David Einhorn, Carl Icahn oder in Europa vielleicht
von Cevian oder Tito Tettamanti zu folgen. Unternehmen, an denen
Aktivisten beteiligt sind, weisen eine höhere Rendite auf das
investierte Kapital (ROIC) und eine bessere Aktienperformance in
einem Drei- bis Fünfjahreszeitraum nach Einstig eines Aktivisten auf.
Dies belegen verschiedene Erhebungen. Leider ist unklar, warum: Stieg
die Rendite, weil ein Aktivist an Bord kam, oder war das Management
ohnehin bereits mit der Verbesserung des Kapitaleinsatzes befasst,
und der Aktivist sprang nur auf einen fahrenden Zug auf?
Es gibt gute Argumente, Aktivisten für lästig zu halten. Eins ist
der Zeithorizont: Laut S&P Global Market Intelligence ist die
durchschnittliche Haltedauer von Beteiligungen unter US-Aktivisten in
drei Viertel der Fälle unter einem Jahr (vgl. Grafik) - in völliger
Abkehr von der Zeit, die es braucht, ein Unternehmen zu reformieren.
Verzerrt wird das Bild aber durch Beteiligungen an Schwergewichten
wie Alphabet, Allergan oder Microsoft, die Aktivisten vor allem als
kurzfristige Trading-Gelegenheit sehen. Im Schnitt halten
aktivistische Investoren aber ihre Positionen viel kürzer, als sich
die CEOs im S&P 1500-Index - der 90% der US-Marktkapitalisierung
abdeckt - halten. Die kommen auf fast acht Jahre.
Aktivistisch deklarierte Anleger sind zudem eine Minderheit. Ende
2015 hielten sie in den USA mit ihren Beteiligungen an Firmen mit
über 1 Mrd. Dollar Marktwert nur 0,6% der Marktkapitalisierung der
S&P 1500-Gesellschaften. Es gilt also die Proportionen zu wahren, was
ihren Einfluss betrifft. Wer ihnen folgt, muss sich trotzdem im
Klaren sein, ob es sich um jemanden handelt, der viel Lärm zur
Erreichung kurzfristiger Renditeziele produziert, oder ob es um eine
langfristige Verbesserung geht. Dann wäre der Aktivist mehr als
einfach nur einfach lästig oder destruktiv und ein wertvoller
Katalysator für Wachstum.
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