Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar
Gutachter empfiehlt Aufhebung der Preisbindung für Medikamente
Mit Nebenwirkungen
Martin Fröhlich
Geschrieben am 02-06-2016 |
Bielefeld (ots) - Die EU ist als Bürokratiemonster verschrien.
Fragen Sie mal die Briten. Ausgerechnet der Gutachter des
Europäischen Gerichtshofes zieht nun zu Felde gegen eine
bürokratische Hürde in Deutschland. Die Preisbindung für
rezeptpflichtige Arzneimittel sei mit EU-Recht nicht vereinbar. Sie
behindere den freien Wettbewerb. Das klingt nach einer Abkehr von
verwaltungstechnischem Irrsinn. Doch eine solche Entscheidung hätte
Nebenwirkungen, die nicht in die Kategorie sehr selten fallen. Im
konkreten Fall ging es nicht nur darum, durch freien Wettbewerb
Preise zu senken. Wenn das die einzige Auswirkung der Aufhebung einer
Preisbindung wäre, müsste man sie begrüßen. Preiswerte Medikamente
helfen Kranken und Gesunden, weil sie die Kosten der Krankenkassen
senken. Im strittigen Fall geht es um eine Versandapotheke, die für
Bestellungen Boni anbietet. "Kauf bei uns, dann bekommst du was
zurück." Ähnlich dem Prinzip der Paybackkarte an der Tankstelle. Doch
wer stellt sicher, dass der Versandhändler nicht das Medikament
teurer anbietet als andere, um damit die Boni zu finanzieren? Der
Patient würde das nicht bemerken, denn die Rechnung zahlt die Kasse.
Der Händler würde Geld der Kassen und damit aller Versicherten zu
seinen Kunden umleiten. Freie Preise für Medikamente könnten auch zu
steigenden Verordnungen führen - nach dem Prinzip: Verschreibe drei,
zahl zwei. Außerdem, das zeigt der Lebensmittelhandel, führt freier
Wettbewerb zur Vormacht der Riesen. Die Versandapotheke kann den
Preis des kleinen Apothekers im Dorf locker unterbieten. Die örtliche
Apotheke mus schließen. Wer berät dann Patienten? Diese Funktion ist
ein Kernelement von Apotheken. Sie kennen die Frage: "Sie wissen, wie
man das einnehmen muss?" Nun muss man einräumen, dass die
Preisbindung die Kostenexplosion bei Arzneimitteln nicht gestoppt
hat. Die Kassen versuchen das, indem sie mit Herstellern über
Ausschreibungen Preise festsetzen. Der Effekt ist jedoch nicht so
groß wie erhofft. Und Kosten für die Kassen sind Kosten für die
Versicherten. Wenn der Gerichtshof die Preisbindung kippt, müsste
sofort ein Instrumentarium von Maßnahmen her, um die Qualität zu
schützen und Missbrauch zu verhindern. Kippt er sie nicht, ist
Deutschland allerdings in der Pflicht weiter nach Wegen für
preiswertere Medikamente zu suchen.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de
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