Börsen-Zeitung: Karlsruher Kapitulation, Kommentar zum OMT-Urteil von Stephan Lorz
Geschrieben am 21-06-2016 |
Frankfurt (ots) - Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich
der normativen Kraft des Faktischen gebeugt und seinen Widerstand
gegen das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgegeben.
Die "Auflagen", die das Gericht bei selektiven Anleihekäufen im
Krisenfall verlangt, sind nicht der Rede wert. Ankäufe sollen nicht
angekündigt und das Volumen im Voraus begrenzt werden, heißt es etwa.
Bundesregierung und Bundestag sollen darauf achten, dass diese
Maßgaben erfüllt werden. Aber schon in der Vergangenheit hat sich
Berlin bei der Beachtung verfassungsrechtlicher Grenzen und der
Wahrung demokratischer Rechte nicht gerade hervorgetan.
Ohne Rücksicht auf die demokratische Legitimität wurden etwa neue
Institutionen geschaffen wie der - auch mit deutschen Steuergeldern
und Bürgschaften ausgestattete - Euro-Rettungsfonds. Erst Karlsruhe
hat verfassungskompatible Prozeduren und parlamentarische
Eingriffsrechte verlangt - und diese dann auch durchgesetzt. Zugleich
drängte die Politik die EZB in die Position des Krisenmanagers und
Garanten für die Eurozone. Dass sie dafür ihr geldpolitisches Mandat
ausweiten musste, wurde hingenommen - auch mit dem augenzwinkernden
Verweis auf ihre Unabhängigkeit. Dabei ist Letztere streng ans Mandat
gekoppelt, das sie allein auf die Wahrung der Preisstabilität
verpflichtet. Ansonsten wäre die fehlende demokratische Legitimierung
nicht zu rechtfertigen.
Finanzpolitischer Spielraum
Und es war das BVerfG, das die Politik stets darauf hingewiesen
hat, dass die unumschränkte "Rettung" Rückwirkung auf den Spielraum
der heimischen Staatsfinanzen hat und dass auch die Einschaltung der
Notenbank nicht ohne Folgen bleiben wird, weil im Falle des Falles
etwa die Gewinnabführung ausbleibt oder Kapital nachgeschossen werden
muss. Es ist eine weit verbreitete irrige Ansicht, dass die
Geldschöpfungsmöglichkeiten einer Zentralbank folgenlos angezapft
werden können.
Politische Borniertheit
Dass die Politik in Brüssel und Berlin selber durch
vorausschauendes Verhalten und die Beachtung von Regeln dazu
beitragen muss, um die Eurozone zu stabilisieren, wird zwar in
Sonntagsreden immer wieder betont, die immer neuen Zugeständnisse
etwa bei der Haushaltsüberwachung bisheriger Euro-Krisenländer sowie
Frankreichs sprechen aber eine andere Sprache. Auch das erhöht den
Handlungsdruck auf die EZB - und nötigt ihr Entscheidungen ab, die
sie unter anderen Umständen so keinesfalls getroffen hätten. Gegen so
viel politische Borniertheit ist auch Karlsruhe machtlos. Besonders
muss es die Richter aber schmerzen, dass sie sich im Zuge ihrer
verfassungsrechtlichen Kapitulation auf ein Urteil des EuGH beziehen
und berufen müssen, das für sich genommen inkonsistent, oberflächlich
und anmaßend daherkommt. Leitschnur der Argumentation der Luxemburger
Richter ist stets, die Machtfülle europäischer Institutionen bloß
nicht einzuschränken - zumal man oft genug selber über die Stränge
geschlagen hat. Wer das kritisiert, dem wird bisweilen bescheinigt,
kein Freund "Europas" zu sein. Vor diesem Hintergrund stellten sie
der EZB einen Persilschein für künftige Markteingriffe aus, selbst
wenn diese nur ansatzweise für die Stabilisierung des Euro-Konstrukts
taugen.
Freiraum für Helikoptergeld
Die Karlsruher Richter haben denn auch relativ genussvoll die
blinden Stellen im EuGH-Urteil aufgelistet. Regelrecht verärgert
zeigten sie sich, dass ihre Luxemburger Kollegen die Argumentation
der EZB, keine monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben, so einfach
hingenommen haben, ohne auch nur ansatzweise die ökonomischen Folgen
einer solchen Politik zu hinterfragen. Die Streitigkeiten mit dem
EuGH sind also noch nicht ausgeräumt, im aktuellen Rechtsfall aber
haben die deutschen Richter klein beigegeben.
Für die EZB bedeutet der Richterspruch, dass sie für das laufende
Anleihekaufprogramm (QE) wohl keine rechtlichen Attacken von der
deutschen Seite mehr zu befürchten hat. Ihr Handlungsspielraum hat
sich enorm vergrößert. Das könnte eine Rolle spielen, wenn die
Eurobanker eine erneute Ausweitung ihres Inflationisierungs- und
Staatenrettungsprogramms für nötig erachten. Denn nach dem Urteil des
EuGH würde schließlich auch Helikoptergeld, der Ankauf von Aktien
oder eine noch stärkere Monetisierung von Staatsschulden
europarechtlich durchgewunken werden, sofern man dafür nur eine
geldpolitische Begründung findet. Und diesbezüglich ist die EZB noch
nie in Verlegenheit gewesen.
Bollwerk geschleift
Womöglich erweist sich die Karlsruher Kapitulation aber noch aus
einer ganz anderen Betrachtung als verhängnisvoll: Niedrig- und
Negativzinsen, die Außerkraftsetzung der Marktkräfte durch die
Anleihekäufe und die mittelbare Finanzierung der Staaten durch die
Geldpolitik hat die Schar der EZB- und Eurokritiker in Deutschland
enorm anwachsen lassen. Viele haben sich bisher auf das Bollwerk
Bundesverfassungsgericht verlassen, wenn es darum geht, die
schlimmsten Auswüchse der EZB-Politik noch zu verhindern und im
Notfall auch ein Stoppsignal für die ganze "Europäisierung" zu
setzen. Die Emotionen wurden kanalisiert, die Gemüter konnten sich
abkühlen. Die Karlsruher haben sich jetzt aber aus dem Spiel
genommen. Es dürfte der politischen Debatte nicht gut bekommen, wenn
die Öffentlichkeit bei der nächsten Wirtschafts- und Finanzkrise dann
nach Schuldigen sucht.
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