taz-Kommentar von Jan Feddersen über die Labour Party und das sozialdemokratische Dilemma
Geschrieben am 28-06-2016 |
Berlin (ots) - Die Arbeiterklasse Großbritannien wird mutmaßlich
am stärksten unter dem Brexit zu leiden haben. Das wusste - eventuell
- auch die Labour-Führung um Jeremy Corbyn. Und die thematisierte
zwar die strukturellen Probleme der Europäischen Union, war aber
nicht willens darauf zu verweisen, dass die Einsparungen im
Gesundheits- und Bildungsbereich wesentlich mit den Konservativen zu
tun haben, nicht jedoch mit der EU.
Corbyn und seine Hipster-Freunde - welche seinetwegen kürzlich
massenhaft in die Partei der britischen Arbeiterbewegung eintraten -,
entschieden sich gegen die proeuropäische Mobilisierung. Es ist dies
ein neuerlicher Beweis, dass diese Partei Kontakt und Tuchfühlung zu
den Prekarisierten fahrlässig eingebüßt hat.
Labour - das ist, wie so viele Sozialdemokratien in Europa, eine
Partei geworden, die sich mehr um Islamfragen, Kritik an Israel,
Postkoloniales, LGBTI*-Themen oder kulturelle Geschmacksfragen
kümmert als es für ihren politischen Erfolg auch in den White &
Coloured-Trash-Gegenden, den Zentren der englischen Industrie, nötig
wäre.
Es sind Themen, die die Kulturlinke stark interessieren, aber eben
nicht den Widerhall in jenen Regionen finden, in denen sozusagen die
Abgehängten der digitalen Revolutionen leben. Unter den Brexisten
sind viele dieser Prekarisierten - ihr Urteil zur EU hat wesentlich
mit dem Hass auf diese ewigen Schlaumeier der besseren linken Kreise
zu tun.
Sozialdemokraten büßen dort stark an Einfluss ein, wo sie sich auf
ideologischen Feldern tummeln, die originär nicht die Ihrigen sind.
Und auf die sie sich auch nicht - nicht einmal gefühlt -
konzentrieren sollten. Sozis sind dafür da, jene, die man früher zur
Arbeiterklasse zählte und heute zum (nur nur weißen) "Prekariat"
summiert, nicht den Nationalisten zu überlassen und bessere
Lebensbedingungen für sie und mit ihnen zu erkämpfen.
Demokratische Arbeiterparteien dürfen inhaltlich nur begrenzt grün
werden, vor allem sollten sie die eigene Kundschaft immer im Blick
behalten.
Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben die richtige Fährte
aufgenommen. Wie im Übrigen auch die schottlandpatriotische und
nichtrassistische SNP unter Nicola Sturgeon. Parteichefs wie Corbyn
verkörpern nichts als ein Missverständnis.
Pressekontakt:
taz - die tageszeitung
taz Redaktion
Telefon: 030 259 02-255, -251, -250
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