Mittelbayerische Zeitung: Die Mittelbayerische Zeitung aus Regensburg über die Rentenreformen der vergangenen Jahre
Geschrieben am 26-10-2016 |
Regensburg (ots) - Von Reinhard Zweigler
Reiches Land, arme Alte?
Im Durchschnitt war der Teich nur einen Meter tief, trotzdem ist
die Kuh ersoffen. Mit den in Statistiken ermittelten
Durchschnittswerten ist es so eine Sache. Im Durchschnitt geht es
"den Deutschen" relativ gut. Deutschland ist ein reiches Land.
Frieden, gut bezahlte Jobs, persönliche Freiheit werden hoch
geschätzt. Auch die Altersbezüge sind in diesem Jahr kräftig, das
heißt stärker als in den Jahren davor geklettert. Das hat vor allem
mit gestiegenen Löhnen und zunehmender Beschäftigung zu tun. Auch
werden die Nullrunden und nur mickrigen Rentenzuwächse vergangener
Jahre aufgeholt. Doch dies ist nur eine vorübergehende, eine
scheinbare Besserung im Rentensystem. Die wirklich harten Einschnitte
kommen erst noch. Außerdem wird beim Lesen von Statistiken oft
übersehen, dass in eben diesem Durchschnitt (Die Rentenversicherung
hat gewissermaßen den Eckrentner Max Mustermann mit 45 Berufsjahren
und durchschnittlichem Einkommen "erfunden") auch millionenfache
Ausreißer nach oben und nach unten versteckt sind. Wer mehr als den
Durchschnitt verdiente, durchgehend beschäftigt war und privat oder
betrieblich fürs Alter vorsorgen konnte, der braucht sich um seinen
finanzielle Situation im Ruhestand keine, nun ja kaum, Sorgen zu
machen. Ganz anders jedoch sieht es bei Menschen mit geringem oder
gar keinem Einkommen aus. Vor allem Frauen, die für die Familie, die
Kinder, zu Hause geblieben sind, trifft es im Alter oft böse.
Altersarmut in Deutschland ist vor allem weiblich. Die betroffenen
Frauen erhalten häufig nur Minirenten und müssen Grundsicherung
beantragen. Was viele gar nicht tun, aus Scham, weil sie den Gang zum
Sozialamt scheuen oder weil sie es nicht wissen. Noch sind die
absoluten Zahlen von Menschen in Altersarmut vergleichsweise gering.
Die Statistik weist einstellige Prozentwerte aus. Betroffenen helfen
solche Zahlen herzlich wenig. Hier reift ein gesellschaftliches
Problem heran, das enorme soziale Sprengkraft birgt. Die
Rentenreformen der vergangenen Jahre, die ein schrittweise sinkendes
Rentenniveau sowie eine längere Lebensarbeitszeit festschrieben,
benachteiligen Geringverdiener. Und davon gibt es nahezu acht
Millionen. Ökonomen sprechen von atypischer Beschäftigung. Der
Mindestlohn von 8,50 Euro und ab dem kommenden Jahr 34 Cent mehr hat
das Problem nicht heilen können, sondern nur die Auswüchse nach unten
werden etwas abgemildert. Doch wer nur den Mindestlohn bekommt, kann
kaum privat gegen die drohende Rentenlücke vorsorgen. Wie auch? Wer
mit seinem Minilohn gerade so über die Runden kommt, kann nichts in
die Riester-Vorsorge einzahlen und sein Arbeitgeber denkt kaum an
betriebliche Vorsorge. Das rot-grüne Riester-Projekt, das mit
Milliarden vom Staat bezuschusst wird, hat sich zudem als die Lizenz
zum Gelddrucken für Versicherungen entpuppt. In der jetzigen
Niedrigzinsphase geraten allerdings auch die unter Druck. Union und
SPD sind erschreckend uneins in der Rentenpolitik. Der Befund des
jetzigen Alterssicherungsberichts, Geringverdiener sollten bitte
schön zusätzlich vorsorgen, ist nicht nur eine Kapitulation vor dem
Problem der wachsenden Armut im Alter, sondern auch zynisch. Hier
werden Ursache und Wirkung verdreht. Eine sehr große Koalition aus
SPD, Union und Grünen ebnete vor Jahren den Weg in den
Niedriglohnsektor, machte Arbeit flexibler und billiger. Mit den
Nebenwirkungen dieser Politik will man nun am liebsten nichts zu tun
haben. Wenn sich Ende der Woche die Spitzen der Union über die
künftige Rentenpolitik beugen, dann sollten sie sich zuerst ehrlich
machen. Und zweitens wirksame Haltelinien gegen Altersarmut auf den
Weg bringen.
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Mittelbayerische Zeitung
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