Mittelbayerische Zeitung: Kleine Botschaften - In stürmischen Zeiten will die Kanzlerin
mit ihrer Politik ein Fels in der Brandung sein. Von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 23-11-2016 |
Regensburg (ots) - Wer geglaubt hat, ein paar Tage nach Verkündung
ihrer erneuten Kanzlerkandidatur werde Angela Merkel im Bundestag mit
einem rhetorischen Feuerwerk bereits den Bundestagswahlkampf 2017
eröffnen, wurde gestern eines besseren belehrt. Erstens sind
mitreißende Reden nicht die Sache der eher nüchternen
Physiker-Kanzlerin. Und zweitens sind in der jetzigen
unübersichtlichen Situation nicht Haudrauf-Wahlkampf angesagt,
sondern Ruhe an Bord und Verlässlichkeit. Demonstrativ suchte Merkel
in der gestrigen Generaldebatte die Nähe und das Gespräch mit
Vizekanzler Sigmar Gabriel, lobte SPD-Minister und pries die
gemeinsame Politik der Großkoalition, als könne es keine bessere
geben. In stürmischen Zeiten will die Kanzlerin mit ihrer Politik ein
Fels in der Brandung sein. Ob das allerdings im kommenden Jahr zu
ihrer Wiederwahl - und damit zur vierten Kanzlerschaft in Folge -
ausreichen wird, ist eine völlig offene Frage. Dass die Opposition
Merkel dagegen als visionslose Managerin der Macht darstellt, ist
geschenkt. An der Zähigkeit, aber auch dem Reformwillen der
Ostdeutschen im Kanzleramt haben sich bereits viele Oppositionelle,
aber auch Unionskollegen, die Zähne ausgebissen. Wer die Rede Merkels
genau verfolgt, wird auch auf die kleinen Botschaften stoßen, mit
denen sie scheinbar schon oft Gesagtes garnierte. Merkel gibt sowohl
die Weiter-so-Kanzlerin, als auch die
Wir-haben-verstanden-und-ändern-das-Regierungschefin. Dass sie die
Zahl der Hartz-IV-Empfänger im Land für viel zu hoch hält, war ein
solcher Satz. Dass sie der Rentenversicherung weiterhin mit
milliardenschweren Zuschüssen unter die Arme greifen will, ein
anderer. Dass sie den Verteidigungsetat kräftig auf die von der Nato
geforderte Größenordnung hochschrauben will, war eine weitere
Ankündigung, auch wenn es dafür keinen Beifall gab. Merkels Kritiker
haben allerdings insofern Recht, dass sie jetzt nicht klipp und klar
sagt, wohin sie Deutschland künftig steuern will. Sie bleibt vielmehr
im Grundsätzlichen, beschwört die Werte von Freiheit, Demokratie,
Menschenrechten. Freilich ist das in einer Welt, in der sich
Populisten verschiedener Coleur anschicken, politische Macht zu
erhalten, schon eine ganze Menge. Merkel beschreibt das
Wertefundament, auf dem internationale und Bündniszusammenarbeit nur
möglich ist. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand
dieses Fundament derart infrage wie derzeit. Geschichte ist nach vorn
offen. Denkbar wäre auch, dass sich Tendenzen des Nationalismus, der
Abschottung, des Protektionismus durchsetzen, wie dies etwa bei
Donald Trump durchschimmert. Um einer solchen Entwicklung etwas
entgegensetzen zu können, braucht es gute Argumente und enormes
Verhandlungsgeschick, braucht es eigene Kraft und Bündnisstärke. Wenn
sich Europa nicht bald berappelt und die derzeitigen Fliehkräfte -
siehe Brexit - eindämmt, wenn es nicht weiterhin ein attraktiver,
lebendiger Hort von Demokratie und Wohlstand bleibt, dann sind die
Aussichten, weltpolitisch betrachtet, eher düster. Innenpolitisch
gilt das genauso. Merkel, die unbestrittene Nummer eins auf dem alten
Kontinent und in Deutschland sowieso, weiß um ihre riesige
Verantwortung. Vielleicht fiel auch deshalb ihre Bundestagsrede so
nachdenklich aus. Die nächsten Monate werden kein leichter Gang.
Unerwartete Unterstützung bekam Merkel gestern ausgerechnet von einem
ihrer schärfsten Kritiker. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter
forderte alle Fraktionen auf, sich gemeinsam dem um sich greifenden
Nationalismus entgegenzustellen. Auch so eine kleine, aber wichtige
Botschaft.
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