Rheinische Post: Innenminister de Maizière will 2017 deutlich mehr abschieben als 2016 und den Abschiebegewahrsam ausdehnen/"Die große Koalition muss der Ausnahmefall bleiben"
Geschrieben am 06-12-2016 |
Düsseldorf (ots) - Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)
hat zum Bundesparteitag der CDU in Essen angekündigt, die Asylpolitik
zu verschärfen. "Wir müssen 2017 deutlich mehr abschieben als im
laufenden Jahr", sagte der CDU-Politiker der in Düsseldorf
erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstagausgabe). De Maizière
rechnet für 2016 mit rund 100.000 Abschiebungen. Dazu werde er am 8.
Dezember mit den Ländern weitere Maßnahmen diskutieren, um schneller
rückführen und abschieben zu können. "Dazu gehört zum Beispiel mehr
Zwang bei den Vorladungen von Asylbewerbern. Wenn die Menschen trotz
Ladung bei Gericht oder in ihrer Botschaft nicht erscheinen, muss es
ernste rechtliche Folgen für sie haben. Ein entsprechender Vorschlag
von mir liegt auf dem Tisch", sagte der Christdemokrat. Auch den
Abschiebegewahrsam will de Maizière ausdehnen. "Die vier Tage
Gewahrsam, die jetzt möglich sind, sind zu wenig. Wir brauchen mehr",
sagte er. De Maizière: "Dann können wir effizienter gegen die
vorgehen, die sich einer drohenden Abschiebung entziehen."
De Maizière lehnte im Interview mit der "Rheinischen Post" zudem
die Fortsetzung einer großen Koalition ab. "Eine große Koalition muss
der Ausnahmefall bleiben", sagte das CDU-Vorstandsmitglied. Es sei,
so de Maizière, nicht gut, wenn es keine großen Debatten zwischen den
politischen Lagern im Parlament mehr gebe. Zugleich sagte der
Minister, dass die jetzige große Koalition besser funktioniert habe
als das vorangegangene schwarz-gelbe Bündnis.
Das komplette Interview:
Die CDU schien richtig erleichtert, dass Angela Merkel als
Kanzlerkandidatin noch einmal antritt. Hat die Union sonst niemanden?
De Maizière Die Entscheidung der Bundeskanzlerin, noch einmal
anzutreten, ist gut für die CDU, auch für die CSU und natürlich für
Deutschland. Alle weiteren Spekulationen sind überflüssig. Ich sehe
ich durchaus einige begabte Politikerinnen und Politiker mit
Potential, insbesondere in der nächsten Generation ...
Wen? De Maizière ... deren Namen ich jetzt nicht nenne. Da können
Sie fragen, so oft Sie wollen.
Baut die CDU denn solche Persönlichkeiten bewusst auf? Oder dürfen
die nicht zu schnell hochkommen? De Maizière Wer sich in der
Bundestagsfraktion oder Landesregierungen hervortut, erfährt die
Förderung der Partei. Mehr ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu sagen.
Im neuen Zeitalter des Populismus läuft alles wieder auf eine
große Koalition hinaus, weil die klassischen Formationen Rot-Grün
oder Schwarz-Gelb keine Mehrheit bekommen. Fördert das nicht die
ohnehin große Unzufriedenheit vieler Wähler? De Maizière Ich
bezweifle Ihre Analyse, dass wir in einem Zeitalter des Populismus
leben.
Brexit, Trump, Hofer, Italien - sind das nicht deutliche
Beispiele? De Maizière Es stimmt, dass das, was Sie unter Populismus
verstehen, zunimmt. Aber deswegen vom Zeitalter des Populismus zu
sprechen, halte ich für absolut übertrieben. Populismus kommt
übrigens von Populus, das ist das Volk. Dem besser zuzuhören, hat
noch keinem Politiker geschadet. Aber ich gebe Ihnen recht: Eine
große Koalition muss der Ausnahmefall bleiben. Die Jedenfalls im
Bereich der inneren Sicherheit hat die jetzige große Koalition
allerdings besser gearbeitet als die schwarz-gelbe zuvor. Aber es ist
nicht gut, wenn es keine großen Debatten zwischen den politischen
Lagern im Parlament mehr gibt.
Brauchen wir demokratische Populisten? De Maizière Auch Politiker
in Funktionen und Ämtern müssen uns verändern. Politik darf nicht nur
von denen verstanden werden, die sich innerhalb des S-Bahn-Rings der
Hauptstadt Berlin mit Politik beschäftigen.
Was muss sich konkret ändern? De Maizière Wir müssen besser
zuhören, Dialogformen finden. Das Belehrende und übertriebene
politische Korrektheit müssen raus aus unseren Reden. Zugleich muss
ein Dialog anständig verlaufen.
Wo wollen Sie nicht mehr politisch korrekt sein? De Maizière Wir
haben zum Beispiel bei der Herkunft von Straftätern zu lange
herumgedruckst. Jetzt wird die Herkunft klar benannt, um zu wissen,
wo die Probleme liegen.
Sind denn Flüchtlinge wirklich krimineller? De Maizière Die Syrer
in ihrer Gesamtheit sind unterdurchschnittlich an Straftaten
beteiligt, die Nordafrikaner überdurchschnittlich. Das heißt
natürlich nicht, dass alle Nordafrikaner dann von vorneherein
verdächtig sind. Aber wir müssen die Zahlen zur Kenntnis nehmen.
In den sozialen Netzen wird der Fall der ermordeten Joggerin in
Freiburg heftig diskutiert. Dass der Täter ein 17-jähriger
afghanischer Flüchtling ist, hat zur Aufregung beigetragen. De
Maizière Das ist eine fürchterliche Tat, die Dank guter
Ermittlungsarbeit aufgedeckt wurde. Ja, mit dieser Tat nimmt das
Misstrauen gegen Flüchtlinge wohl zu. Dagegen müssen wir uns aber
stemmen - mit einem besseren Schutz unserer Bürger und einer
rigorosen Strafverfolgung.
Lange Zeit waren viele Flüchtlinge nicht registriert und die
Sicherheitsbehörden konnten Mehrfachtäter kaum identifizieren. Haben
da die Behörden versagt? De Maizière: Nein. Aber es gab kein
zentrales System und damit keinen vollständigen bundesweiten
Überblick bei allen Behörden. Das haben wir geändert. Alle, die einen
Asylantrag gestellt haben, sind mit Fingerabdrücken eindeutig
identifiziert. Diese Daten stehen allen Behörden die sie benötigen
nun auch zur Verfügung.
Und helfen diese Dateien bei der Ermittlung von Straftätern, die
dem IS oder der syrischen Geheimpolizei angehörten? De Maizière
Natürlich können diese Daten auch dabei helfen. Aberdie Dateien mit
den Fingerabdrücken sind wertlos, wenn wir sie nicht abgleichen
können mit internationalen Listen, die diese Straftäter enthalten.
Daher ist die internationale Zusammenarbeit auch so überragend
wichtig.
Viele Bürger haben den Eindruck, dass die Menschen aus dem Nahen
Osten oder Nordafrika erst einmal bleiben, wenn sie im Land sind. Ob
sie tatsächlich asylberechtigt sind, spieltnicht die entscheidende
Rolle. De Maizière Es muss klar sein, dass die, die keinen Schutz
brauchen, Deutschland dann auch wieder verlassen. Hier haben wir viel
geschafft. Es liegt aber auch noch viel Arbeit vor uns. Dieses Jahr
werden wir wohl bis zu 100.000 wieder zurückschicken. Da sind auch
diejenigen dabei, die freiwillig gehen...
... weil wir Geld bezahlen.
De Maizière Wenn es nicht zu viel ist, so dass manche ein Geschäft
daraus machen, ist das absolut sinnvoll und auch günstiger. Wir
müssen aber auch wirklich abschieben. Denn nur wenn auch eine
Abschiebung zu befürchten ist gehen viele andere freiwillig.
Wie viele wollen Sie 2017 abschieben? De Maizière Wir müssen eine
deutlich größere Zahl erreichen. Dafür brauchen wir einen gemeinsamen
Kraftakt von Bund und Ländern
Reichen die jetzigen Methoden dafür aus? De Maizière Wir werden am
8. Dezember mit den Ländern weitere Maßnahmen diskutieren, um
schneller rückführen und abschieben zu können. Dazu gehört zum
Beispiel mehr Zwang bei den Vorladungen von Asylbewerbern. Wenn die
Menschen trotz Ladung bei Gericht oder in ihrer Botschaft nicht
erscheinen, muss es ernste rechtliche Folgen für sie haben. Ein
entsprechender Vorschlag von mir liegt auf dem Tisch.
Die Unternehmensberatung McKinsey hat eine Studie erstellt, wie
man schneller und wirksamer abschieben kann. War Ihnen das nicht
vorher schon klar? De Maizière Wir wissen eine ganze Menge. Aber
keine Behörde, egal ob beim Bund oder in den Ländern, gibt gerne
Schwachstellen zu. Und manchmal ist es eben sinnvoll Sachverstand für
ein Projekt von außen hinzuziehen. Hier können wir zu einer
schnelleren Klärung kommen.
Was würden Sie denn von McKinsey übernehmen? De Maizière Wir
benötigen ein gemeinsames Koordinierungszentrum von Bund und Ländern,
in denen alle staatlichen Stellen die mit dem Thema Abschiebung zu
tun haben,zusammenarbeiten.
Oft tauchen die nicht berechtigten Asylbewerber ab, wenn sie ihren
Aufenthaltsstatus zu verlieren drohen. Was können Sie dagegen tun? De
Maizière Wir müssen die Möglichkeit, solche Personen in
Abschiebegewahrsam zu nehmen, verbessern. Die vier Tage Gewahrsam,
die jetzt möglich sind, sind zu wenig. Wir brauchen mehr. Dann können
wir effizienter gegen die vorgehen, die sich einer drohenden
Abschiebung entziehen.
Die harte Debatte über die innere Sicherheit zeigt, dass die CDU
in einem Gebiet verliert, in dem die Wähler ihr Kompetenz zumessen.
Das haben klassisch die Konservativen in Ihrer Partei besetzt. Gibt
es die nicht mehr? De Maizière Die CDU ist weiterhin eine
konservative Partei, genauso wie sie auch christlich-soziale und
liberale Wurzeln hat. Das eine sollte man nicht gegen das andere
aufwiegen.
Was ist denn heute konservativ? De Maizière Konservativ ist eine
Haltung. Sie stellt das Gemeinwohl vor den Egoismus, das Land vor die
Partei. Die Ordnung ist für einen Konservativen die Voraussetzung für
Freiheit. Außerdem versteht er sich wertgebunden.
Das ist doch ein weichgespülter Konservatismus. Patriotismus, die
Werte der Familie, bestehend aus Mann, Frau und Kindern, die
Ehrfurcht vor dem Leben an dessen Anfang und Ende und eine soziale
Dienstpflicht waren früher Merkmale eines gelebten Konservatismus. De
Maizière Nein. Außerdem hat sich das geändert. Familie ist heute
nicht nur die klassische Familie, sondern beinhaltet auch andere
Formen. Ein Konservativer hält aber viel von einer lebenslangen
Bindung. Patriotismus heißt für einen Konservativen Einsatz für das
eigene Land. Aber wer sein Vaterland liebt, hasst nicht andere. Der
Schutz des Lebens ist eine christliche Maxime. Eine Dienstpflicht ist
aus konservativer Sicht zu begrüßen, aber die ist nach Europarecht
ein Zwangsdienst, wenn sie nicht der Wehrpflicht dient. Und hier sind
bloße sechs Monate nicht sinnvoll, wenn zugleich die Ansprüche an
eine High-Tech-Armee so hoch sind wie heute.
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Rheinische Post
Redaktion
Telefon: (0211) 505-2621
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