Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Italien
Geschrieben am 05-12-2016 |
Bielefeld (ots) - Europa reagiert gelassen, aber nicht geschockt.
Dabei trifft das Ende der Ära Matteo Renzi die Union tiefer, als sie
zugeben möchte. Auch wenn der Sozialdemokrat am Ende auf der
Gemeinschaft herumhackte und sie zum Sündenbock für die italienische
Krankheit zu machen versuchte, bleibt er unterm Strich doch ein
Reformer, wenn auch ein verhinderter. Das wiegt schwer, weil das Land
Mitglied des Euro und alles andere als ein politisches Leichtgewicht
für diese Union ist. Ein Fall in die Staatspleite wäre unbezahlbar
und gerade deswegen eine kaum zu bewältigende Notsituation für die
EU. Dass die Euro-Finanzminister ebenso wenig wie die europäischen
Regierungen aufgescheucht reagierten, zeigt aber auch: Vorerst sieht
nichts nach einem Absturz Italiens aus. Die Zeichen stehen nicht auf
Neuwahl, sondern auf Bildung einer neuen Regierung. Italien soll
stabil bleiben. Doch die Ruhe ist gespielt. Das Bekenntnis zur EU
scheint in der Bevölkerung immer weniger mehrheitsfähig, weil die
Union sich bei akuten Problemen als handlungsunfähig erwiesen hat. Im
Zweifel bedienen die Staats- und Regierungschefs eher die Egoismen
ihrer eigenen Wähler, anstatt für Solidarität zu werben. Die
Gemeinschaft krankt, weil ihre Mitglieder sie im Stich lassen. Es ist
der lange bekannte Automatismus: In der Krise wächst die
Bereitschaft, das Gemeinsame aufzugeben und sein Heil im
Nationalismus zu suchen. Europa sollte eigentlich die Union sein, die
sich in der Gemeinschaft und durch die gegenseitige Harmonisierung
krisenfest macht. Das wäre auch so, wenn die Mitgliedstaaten mit dem
ernst machen würden, was sie in Brüssel versprechen. Der Tag nach dem
Votum in Italien hat die schlimmsten Befürchtungen vorerst nicht
bestätigt: Keine Euro-Krise zeichnet sich ab, keine Staatspleite wird
erkennbar. Tatsächlich aber könnte sich aus einem europäischen
Betriebsunfall am vergangenen Sonntag in Rom schnell mehr entwickeln,
wenn es nicht gelingt, zügig eine stabile Regierung zu installieren.
Das ist natürlich zum einen Sache des italienischen
Staatspräsidenten. Aber es bleibt auch ein Auftrag an die EU, das
Land nicht länger mit Aufgaben alleine zu lassen, die es schlicht
überfordern - wie mit 200000 Flüchtlingen alleine in diesem Jahr.
Denn die Botschaft, die die Italiener aus einem solchen Verhalten der
EU-Familie ablesen, lautet: Europa löst nichts, Europa schiebt
Verantwortung ab. Warum also sollte man dieser Gemeinschaft noch
länger über den Weg trauen? Der Wahlsonntag in Italien war eine
Warnung. Was muss noch passieren, damit die EU und ihre
Mitgliedstaaten solche Entwicklungen ernst nehmen und reagieren?
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell
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