Börsen-Zeitung: Auf der Überholspur, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Geschrieben am 09-12-2016 |
Frankfurt (ots) - Rund um den Globus sind die Aktienmärkte ins
Rollen gekommen und bescheren den Anlegern das, was man gemeinhin
Jahresschluss-Rally nennt. Die Rekordjagd der US-Indizes - in der
abgelaufenen Woche ist mit dem Dow Jones Transportation das letzte
noch fehlende wichtige Marktbarometer auf einen Höchststand
geklettert - hat die Industrieländeraktienmärkte der übrigen
Zeitzonen erfasst. In der Woche nach dem gescheiterten italienischen
Verfassungsreferendum hat der Dax endlich das alte Jahreshoch von
etwas mehr als 10800 Punkten überwunden, um dann noch zügig über die
Schwelle von 11000 Zählern zu steigen. Mehr noch: Beim Wochenschluss
von 11204 Punkten steht nun ein Plus seit Jahresbeginn von 4,3% zu
Buche, nachdem der Index vor dem Referendum noch leicht im Minus
gelegen hatte. Damit hat der Dax endlich die Performance zehnjähriger
Bundesanleihen, die nur noch bei 3,7% liegt, übertroffen. Auch in
Japan wurden neue Höhen erreicht. Am Freitag stieg der Nikkei
erstmals in diesem Jahr über die Schwelle von 19000 Zählern.
VDax vor Zweijahrestief
Die Zuversicht der Marktteilnehmer lässt sich an den
Volatilitätsindizes deutlich ablesen. So sank der deutsche VDax-New
am Freitag bis auf 15,87 Zähler. Seit Anfang 2015 hat dieser
Gradmesser der Marktnervosität nur an zwei Tagen des zurückliegenden
Septembers einen niedrigeren Stand gesehen. Sinkt der Index auch noch
unter das September-Tief von 15,42 Zählern - und das scheint absolut
möglich -, würde er damit den tiefsten Stand seit zwei Jahren
erreichen.
Zu der Rally trägt neben der Tatsache, dass mit dem
Italien-Referendum das letzte politische Unsicherheitsmoment des
Jahres abgehakt ist, die akkommodierend bleibende Geldpolitik bei,
auch wenn die Fed sehr wahrscheinlich in der neuen Woche ihren
behutsamen Zinsnormalisierungskurs mit einer längst überfälligen
Anhebung ihres Leitsatzes wieder aufnehmen wird. Entscheidend sind
aber die Aussichten auf eine spürbar bessere Entwicklung von
Konjunktur und Unternehmensgewinnen, die mit dem Wahlsieg von Donald
Trump starken zusätzlichen Auftrieb erhalten haben. Damit verbessert
sich das Umfeld für Aktien, während Anleihen unter der Aussicht auf
einen spürbaren Anstieg von Inflation und Zinsen leiden.
Die Frage ist nun aber, welches Potenzial die Aktienmärkte nach
den deutlichen Kursavancen seit der US-Wahl haben bzw. ob sie in den
nächsten Tagen und Wochen in dem Tempo weiter klettern können, und
dies angesichts eines mit rund 17 bereits recht üppigen
Kurs-Gewinn-Verhältnisses am amerikanischen Aktienmarkt. Hier muss
die ehrliche Antwort wohl sein, dass dies derzeit niemand voraussagen
bzw. vorausahnen kann, weil schlichtweg die entscheidenden
Informationen fehlen. Eine einigermaßen fundierte Einschätzung wird
erst möglich sein, wenn sich abzeichnet, wie viel der neue Präsident
von seinen im Wahlkampf angekündigten Vorhaben umsetzen wird (und
kann). Dieser Unsicherheitsfaktor kann zu vorübergehenden
Rückschlägen führen, sollten - hoffentlich demnächst auch ohne
Twitter - Äußerungen Trumps folgen, die die deutlich rosiger
gewordene Wahrnehmung der Marktteilnehmer in Frage stellen.
Dieses Risiko ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Trump wird
wohl bezüglich so mancher Ankündigung zurückrudern müssen. So haben
die Republikaner in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit. Doch
ob viele Parteigenossen Trumps tatsächlich sehr darauf erpicht sind,
die Staatsverschuldung so hochzujagen, wie es Trumps Ankündigungen
implizieren, ist fraglich. Dabei kann es auch um eine Frage der
Glaubwürdigkeit gehen. Schließlich hat die Partei Obama geraume Zeit
eine Anhebung der Schuldengrenze verweigert und damit die USA sogar
an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geführt. Legt man seine
Ankündigungen zugrunde, wird Trump die neue Schuldenobergrenze im
kommenden Jahr locker knacken. Werden die Republikaner sich dann auf
den Standpunkt stellen: "Was soll's, was interessiert uns, was wir
bislang zu dem Thema gesagt haben"?
Kurzum: Nach wie vor gilt, dass Trump wahrscheinlich noch einige
Abstriche an seinen Wahlkampfaussagen machen wird, was manche
Hoffnung auf Ankurbelungsmaßnahmen schmälern könnte. Das kann man
aber auch positiv sehen, denn es könnte auch für die Tiraden gegen
ausländische Billigkonkurrenz und seine heftige Kritik an der
Verlagerung von Produktion an günstigere Standorte im Ausland gelten.
Zumindest den verunsicherten Finanzmärkten der Schwellenländer würde
das Auftrieb geben.
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