Mittelbayerische Zeitung: Syrien stirbt und die Welt schaut zu / Nur Russland kann das Morden beenden. Der Westen muss das akzeptieren. Leitartikel von Christian Kucznierz
Geschrieben am 09-12-2016 |
Regensburg (ots) - Sie sind allgegenwärtig, die Wehklagen, mal
lauter, mal leiser, mal milder, mal heftiger. Und jeder kennt sie,
die Rufe. Dass doch diese Vorweihnachtszeit nichts mehr zu tun hat
mit der "staaden Zeit", mit der Ruhe, der Besinnlichkeit und der
inneren Einkehr. Dass alles so hektisch geworden ist. Dass es so
schwer ist, in den Innenstädten Parkplätze zu bekommen, oder ein
Fleckchen auf den Weihnachtsmärkten, um in Ruhe Glühwein und
Bratwurst genießen zu können. Wir leben in einem Luxus, der uns nicht
bewusst ist. Auch, weil wir die Bilder von anderen Orten meiden. Oder
weil sie aus dem Blick geraten sind. Dabei wird nicht weit weg von
Europa, in Syrien, die Stadt Aleppo gerade ausgelöscht, die Menschen
ermordet, vertrieben in die Kälte des sechsten Kriegswinters. Die
einzige Stille, die sie eines Tages erwartet, ist die
Friedhofsstille, die sich über ein Land legen wird, das unter den
Augen der westlichen Welt verblutet ist. Angela Merkel sprach diese
Woche in Bezug auf Syrien von einer Schande. Sie hat Recht. Seit
Jahren tobt dort ein Bürgerkrieg, ausgelöst durch den Wunsch einer
großen Gruppe von Menschen nach Freiheit, nach echter Demokratie -
ein Wunsch, der sein Ende vor den Mündungen der Gewehre des
Assad-Regimes fand, von Fassbomben zerfetzt und im Giftgasnebel
erstickt wurde. Ja, es stimmt. Aufseiten der Gegner des Regimes
kämpft ein Konglomerat von Milizen, unter denen der Islamische Staat
(IS) und zahlreiche weitere terroristische Gruppierungen sind, und
sie verdienen keine Gnade. Es ist auch richtig, dass der Westen den
Kampf gegen den IS unterstützt. Aber es ist ein aussichtsloser Kampf,
solange Syriens Machthaber Assad mit russischer Luftunterstützung
wahllos alles zerstört, was ihm im Weg steht. Dies ist kein Kampf
gegen die Opposition. Es ist ein Vernichtungskrieg. Alleine sechs
Millionen Kinder sind in Syrien selbst auf der Flucht. Ihnen fehlen
Nahrungsmittel und Medikamente, weil Hilfskonvois nicht in die
umkämpften Gebiete vordringen können. Den Familien, die oft schon
mehrfach fliehen mussten in den vergangen Jahren, geht die Kraft aus
- und der Winter steht vor der Tür. Am morgigen Samstag soll es
wieder Gespräche geben zwischen den Konfliktparteien, um eine Lösung
zu finden oder zumindest eine Unterbrechung des Mordens. Alles liegt
in dieser Situation an Russland. Moskau ist die einzige Großmacht,
die sich aktiv in den Kampf eingeschaltet hat, und ohne sie kann
niemand das Morden beenden. Assad ohnehin nicht. Der Westen aber auch
nicht. Russland wird seinen Einfluss auf das Regime nicht aufgeben.
Und gegen Moskau wird niemand in den Krieg ziehen. Die USA und Europa
haben zugelassen, dass Putin Syrien zu seinem Einflussgebiet gemacht
hat. Ein Donald Trump als neuer US-Präsident wird das sicher nicht
ändern. Der Westen hat sich im Syrienkrieg in die Hände Moskaus
begeben - und damit das Schicksal der Menschen dort dem Machtpoker
des Kreml ausgeliefert. In Russland wird entschieden, wie viele
Winter noch getötet wird, und wie viele Menschen dieses Morden noch
in die Flucht - und damit auch bis nach Europa - treiben wird. Sollte
es einen Wunschzettel für internationale Politik geben, ganz oben
müsste eine Waffenruhe für Syrien stehen. Und danach ein echter,
verbindlicher Friedensfahrplan. Russland wird ihn diktieren, ja. Aber
ohne dieses Diktat gibt es keine Hoffnung und keinen Frieden für
Syrien und seine Menschen.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
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