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Landeszeitung Lüneburg: "Du fährst noch selbst?" - Der Berliner Politologe und Mobilitätsforscher Prof. Andreas Knie über die Zukunft des Automobils

Geschrieben am 29-12-2016

Lüneburg (ots) - Der Verbrennungsmotor hat ausgedient. Getrieben
von Erderwärmung sowie endlichen Ressourcen und beschleunigt von
"Dieselgate" suchen Politik, Industrie und Forschung nach
zukunftsfähigen Verkehrskonzepten. Intermodalität und Vernetzung sind
die Zauberworte. Mit dem Politikwissenschaftler und
Mobilitätsforscher Professor Andreas Knie sprechen wir über die
Frage: Was bewegt uns in der Zukunft?

Womit legen Sie Ihre tagtäglichen Wege zurück?

Prof. Andreas Knie: Natürlich multimodal, das heißt, ich nutze
mehrere Verkehrsmittel parallel: Ich fahre U-Bahn, S-Bahn, nutze
Carsharing-Autos und auch das Taxi. Weil es in Berlin aber noch kaum
Droschken mit Elektroantrieb gibt, nutze ich sie immer seltener.

Besitzen Sie ein eigenes Autos? Knie: Nein, schon lange nicht
mehr.

Mein Auto kommt nicht mehr durch den TÜV, täglich müssen 25
Kilometer zum Arbeitsplatz in der Kleinstadt und zurück bewältigt
werden, zwei- oder dreimal im Jahr stehen weitere Touren mit der
Familie an - welches Fortbewegungsmittel würden Sie empfehlen?

Knie: In diesem Fall brauchen Sie natürlich ein Auto. Sie haben
Ihre Arbeitsstätte und Ihre Lebensplanung quasi um das Automobil
herumgebaut, immer wissend, dass Sie ein Auto haben. Sie könnten
damit anfangen, für die Kurzstrecken ein Elektroauto zu nutzen -
dafür muss man keinen Verbrenner haben. Für die wenigen größeren
Entfernungen sollte man prüfen, ob die Bahn infrage kommt. Geht das
nicht, kann man sich einen Mietwagen nehmen. Carsharer gibt es
inzwischen in allen größeren Städten. So können Sie im Alltag
weitgehend CO2-frei unterwegs sein. Wer nicht mit der Bahn in den
Urlaub fahren kann, sollte solche Strecken aber zumindest mit einem
möglichst CO2-optimierten Verbrennungsmotor zurücklegen. Das
Mobilitätsverhalten hängt generell sehr davon ab, wo man wohnt. In
Städten wie Hamburg, Berlin, München oder Köln haben Sie natürlich
mehr Optionen, dort fahren die Menschen bereits multimodal, während
die ländlichen Regionen natürlich weiterhin vom Auto dominiert
werden.

Wie würden Sie diese Frage für das Jahre 2030 beantworten?

Knie: Ich glaube, in 25 Jahren ist vieles elektrisch, auf jeden
Fall CO2-frei. Längere Strecken legt man dann mit einem Automobil
zurück - so nennen wir die Geräte noch. Entweder selbstfahrend - was
aber in einem Vierteljahrhundert schon die Ausnahme sein dürfte -
oder autonom. Wir werden auch mit Brennstoffzellen-Fahrzeugen
unterwegs sein, also Wasserstoff getankt haben. Und natürlich fahren
wir auch mit der Bahn. Selbstfahren wird in jedem Fall aber die
Ausnahme werden.

Wir steuern also auf das Ende der individuellen Mobilität zu,
bewegen uns alle im selben Tempo in ferngesteuerten Fahrkapseln und
besuchen ab und an einen Freizeitpark, um dort Gas zu geben, zu
überholen und Benzin zu verbrennen?

Knie: Selbst zu fahren ist dann etwa so wie heute noch einen
Plattenspieler oder eine mechanische Schreibmaschine zu nutzen. Sie
werden dann tatsächlich vielleicht mal zum Lausitzring fahren und
ihren Enkeln zeigen, wie man früher geschaltet und gekuppelt hat. Das
wird aber die Ausnahme werden. Und es wird auch keiner mehr
verstehen, weil das Sicherheitsrisiko als viel zu hoch empfunden
wird. Selbst zu fahren ist im städtischen Bereich immer ein Risiko.
Künftig fahren wir dort kombiniert: mit größeren "Gefäßen" wie Bussen
und Bahnen, aber auch mit größeren Shuttle-Systemen. Im ländlichen
Raum werden die Kapseln wieder eher kleiner, und Sie fahren dann
tatsächlich in einer Art "Platooning" (Fahrzeugkolonne, die mithilfe
technischer Steuerungssysteme mit sehr geringem Abstand fährt)
hintereinander her und werden so quasi zu einem "Großgefäß"
gebündelt. Bei Bedarf können sich die Fahrzeuge dann wieder
individualisieren und verteilen.

Wie wird sich der Güterverkehr verändern?

Knie: Die ersten Schritte werden sein, dass der Nahverkehr immer
mehr auf CO2-freie Zustellung umgestellt wird. Hier wird das
Lastenfahrrad, das man heute noch belächelt, das zentrale
Zustellfahrzeug werden. Der Güterfernverkehr bleibt eine große
Belastung auf den Straßen, aber er wird auf selbstfahrende Lastwagen
übertragen, die dann mit Brennstoffzellen unterwegs sein werden. Denn
auch der Gütertransport wird komplett CO2-frei sein.

Sind 25 Jahre für solche Szenarien ein realistischer Zeitraum?

Knie: Wir sind ja schon mittendrin in der Transformation.
Fahrerlose Systeme werden etwa in Hamburg und Berlin erprobt, wir
haben auf dem Berliner EUREF Gelände bereits einen Regelbetrieb mit
einem autonomen Shuttle laufen. Eine Versuchsstrecke gibt es auch auf
der Autobahn 9, Google hat Hunderttausende Testkilometer absolviert,
Uber experimentiert in den USA mit selbstfahrenden Autos. In den
kommenden fünf bis zehn Jahren werden wir das erleben und in 20
Jahren wird das normal sein.

Läuft diese Entwicklung von selbst oder muss der Staat lenkend
eingreifen - mit dem Verbot von Verbrennern, flächendeckender
Parkraumbewirtschaftung oder höheren Spritpreisen?

Knie: Wie im Leben allgemein ist es im Verkehr ganz besonders so:
Ohne veränderte Regeln geht gar nichts. Es gilt, den
Transformationsprozess konstruktiv zu begleiten, ihn selbst zu
gestalten. Dafür müssen wir das autonome Fahren zulassen, Grenzwerte
deutlich senken, und wir brauchen eine generelle
Parkraumbewirtschaftung für alle Städte. Es kann nicht sein, dass
private Autos auf öffentlichem Grund stehen. Von diesem Prozess wird
im Übrigen auch die Ökonomie profitieren, denn er bietet die Chance,
Dienstleistungen zu exportieren. Die Probleme in Deutschland sind ja
vergleichsweise leicht zu lösen, wenn man es mit Süd- und
Mittelamerika und vor allem China vergleicht.

Mit der Subventionierung von Elektroautos und grünem Strom ist es
nicht getan. Sehen Sie auf Seiten des Staates das nötige
Gesamtkonzept und den erforderlichen Mut, wenn die Politik schon beim
Thema generelles Tempolimit auf der Bremse steht?

Knie: In der Tat tun sich die Politiker schwer, weil sie noch
glauben, das Leben verteidigen zu müssen, das wir in den 50er- und
60er-Jahren als modern deklariert haben, nämlich: mein Haus, mein
Auto, mein Boot. Das ist aber längst nicht mehr so dominant. Wir
sehen in den Städten, dass die Last am Auto die Lust überwiegt. Weil
es einfach zu viele davon gibt. Das Auto war tatsächlich einmal die
Ikone der Moderne, es war der Traum nicht nur der Deutschen von einem
modernen Leben. Der ist aber längst ausgeträumt. Ein Auto zu haben
ist kein Luxus mehr. Deshalb sind die Menschen - und das untersuchen
wir sehr genau - bereit, Korrekturen vorzunehmen. Es wird eine
Kommune in Deutschland geben, die zeigt, dass das gar keine
Folterwerkzeuge sind, sondern dass dies Erlösungsoptionen von der
Qual der Belastungen bietet, neue städtische Aufenthaltsqualitäten zu
gewinnen. Sobald das irgendwo funktioniert, erleben wir einen
sogenannten "tipping point" (Zeitpunkt, an dem etwas kippt):
Plötzlich werden überall Räume neu definiert und die Regeln des
Verkehrs und der Parkraumbewirtschaftung geändert. Das beginnt in den
Städten und wird nach und nach auf die Agglomerationsräume und
schließlich auch auf den ländlichen Raum überschwappen.

Sind wir Deutschen besonders autobegeistert?

Knie: Nein, waren wir auch nie. Das ist eine Mär. Deutschland war
bis in die 50er-Jahre hinein ein Zweiradland, wir hatten eine
erfolgreiche Moped- und Motorradindustrie - NSU war bis 1957
Weltmarktführer bei Zweirädern. Und wir waren ein Eisenbahnland. Die
Reichsbahn war 1938 das größte Unternehmen der Welt. Das Auto kam im
Vergleich zu Italien, England oder Amerika in Deutschland viel später
an. Allerdings haben wir die erfolgreichste Automobilindustrie. Und
die ist natürlich mächtig.

Slogans wie "Freunde am Fahren" drücken aus, dass das eigene Auto
viel mehr ist als ein Transportmittel. Ist unsere Gesellschaft
überhaupt bereit, das Lenkrad loszulassen und nur Passagier zu sein?

Knie: Es wird wie beim Rauchen sein. Was waren das für Zeiten, als
man im Flugzeug noch rauchen durfte, oder im Restaurant. So wird man
bald auch sagen: Du fährst noch selbst? Das ist aber ein Risiko. Das
Auto wurde aber für sehr wichtig, es war ein Instrument, um sich
weiter gesellschaftlich zu differenzieren, wie wir in der Soziologie
sagen, ein Mittel, um den eigenen Lebensentwurf selbst zu gestalten,
seine Zeit und seinen Raum, unabhängig zu sein.

Bedeutet dieses Szenario das Ende der klassischen
Automobilhersteller und den Verlust vieler Arbeitsplätze?

Knie: Es bedeutet natürlich einen Strukturwandel, die Industrie
wird sich massiv verändern. Aber es wird ja weiter "Geräte" geben,
die gebaut werden müssen. Die Beweglichkeit der Gesellschaft hört
nicht auf. Die Güter werden zwar kleiner, feiner und vielfältiger,
aber sie müssen auch in Zukunft transportiert werden. Es wird primär
darauf ankommen, diese "Geräte" digital zu verknüpfen.

Wo sehen Sie die größeren Hürden: bei ethischen und rechtlichen
Fragen oder auf der technischen Seite?

Knie: Die größten Hindernisse sehe ich im Moment bei der Politik.
Im Bund, in den Ländern, aber auch auf der kommunalen
Entscheidungsebene hat man immer noch das Gefühl, man müsste etwas
schützen, das es längst nicht mehr gibt: den Traum vom eigenen Auto,
vom Verbrenner mit möglichst vielen Zylindern und reichlich
Kilometern auf dem Tacho. Aber das wollen die Menschen gar nicht mehr
- jedenfalls nicht mehrheitlich. Sie wollen ein anderes Leben, und
dafür braucht es Mut und Bereitschaft zum Wandel. Sonst passiert das,
was wir bei der Kernenergie und der Kohle sehen: Wir konservieren
einen nicht mehr zeitgemäßen Zustand und schneiden uns damit die
Perspektive einer modernen und lebenswerten Gesellschaft selbst ab.

Das Gespräch führte

Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung L?neburg, übermittelt durch news aktuell


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