Steuer auf Pflanzenschutzmittel: kostet viel - nutzt wenig /
Agrarökonom Mußhoff deckt Mängel in Studie des UFZ Leipzig auf / Folgenabschätzung unzulänglich
Geschrieben am 19-01-2017 |
Berlin (ots) - Eine Sondersteuer auf Pflanzenschutzmittel könnte
Ackerbaubetriebe in einigen Regionen an den Rand des Ruins treiben
und damit das Höfesterben in Deutschland beschleunigen; ein
veränderter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln dagegen wäre von der
Steuer kaum zu erwarten. Sie würde lediglich die Agrarproduktion in
Deutschland verteuern, aber kaum ökonomische Anreize setzen, um die
Verwendung von Pflanzenschutzmitteln einzuschränken.
Das ist das vorläufige Fazit von Professor Oliver Mußhoff, der vom
Industrieverband Agrar e. V. (IVA) mit einer wissenschaftlichen
Bewertung der Studie von Möckel et al. "Einführung einer Abgabe auf
Pflanzenschutzmittel in Deutschland" (Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung - UFZ Leipzig) beauftragt wurde. Der Göttinger
Agrarökonom stellte die Ergebnisse seiner Analyse heute im Rahmen
eines Pressegesprächs auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin
vor.
Der Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck,
hatte bei der Vorstellung seiner Überlegungen für eine
Pflanzenschutzmittelsteuer betont, dass er die Studie des UFZ Leipzig
als Start in einen Dialog verstehe. "Als betroffene Industrie
begrüßen wir diese Einladung und hielten es für wichtig, die
Vorschläge wissenschaftlich fundiert zu durchleuchten. Zweierlei
wollten wir wissen: Hat die Studie wissenschaftlich Hand und Fuß und,
wichtiger noch, welche Folgen hätte eine nationale
Pflanzenschutzmittelsteuer für die deutsche Landwirtschaft",
erläuterte IVA-Präsident Dr. Helmut Schramm.
Mußhoff sieht die wissenschaftliche Qualität der Studie allerdings
kritisch und monierte eine "Vielzahl an inhaltlichen
Unzulänglichkeiten". Dies beginne schon bei der Motivation, die die
UFZ-Autoren für die Einführung einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel
anführen. Angeblich sei der Einsatz an Pflanzenschutzmitteln in den
zurückliegenden Jahrzehnten um 36 Prozent angestiegen. Tatsächlich
basiert diese Berechnung der UFZ-Autoren auf einem statistischen
Trick, nämlich der willkürlichen Wahl des Referenzjahres 1993.
Denn 1993 war, statistisch gesehen, ein Ausreißer-Jahr, in dem so
wenig Pflanzenschutzmittel abgesetzt wurden wie in keinem anderen
Jahr seit 1974. "Nähme man, ebenso willkürlich, als Referenz das Jahr
1987, das ein Ausreißer nach oben war, könnte man behaupten, dass der
Absatz von Pflanzenschutzmitteln in den letzten 30 Jahren um über
zehn Prozent gesunken ist. Das wäre der gleiche statistische Trick,
nur unter anderen Vorzeichen", so Mußhoff.
Da der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln von äußeren Faktoren wie
Wetter oder Schädlingsvorkommen abhängt, können Trends nur aus dem
Vergleich von langfristigen Mittelwerten abgelesen werden. "Außerdem
zeigt sich, dass die Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten auch
hinsichtlich des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes immer produktiver
geworden ist. Bezogen auf die Erntemenge wurden nämlich immer weniger
Pflanzenschutzmittel eingesetzt", rechnet Mußhoff vor und stellt
damit die Ausgangsannahme der UFZ-Studie in Frage.
Für irreführend hält der Agrarökonom auch die Ertragsvergleiche,
mit denen in dem Gutachten argumentiert wurde. So behaupten die
Leipziger Forscher, dass dänische Landwirte mit weniger
Pflanzenschutzmitteln ähnlich hohe Weizenerträge erzielen wie
deutsche Landwirte. Dieser Vergleich, so Mußhoff, leitet fehlt, da
sich die Standortbedingungen (Böden, Klima, Niederschläge) in vielen
deutschen Regionen stark von denen in Dänemark unterscheiden.
Angebracht wäre seiner Auffassung nach ein Vergleich zwischen
Dänemark und dem benachbarten Schleswig-Holstein, zumal die dortige
Landesregierung Auftraggeber der UFZ-Studie war. Dabei hätte sich
dann nicht nur gezeigt, dass der Weizenertrag in Dänemark zuletzt
rund 20 Prozent geringer ausfiel als in Schleswig-Holstein, es hätte
auch darauf hingewiesen werden müssen, dass als Folge der dänischen
Agrarwende Weizen dort heute kaum noch Backqualität aufweist und fast
ausschließlich in der Tierhaltung verfüttert wird.
Auch die ökonomische Grundannahme, mit denen für eine
Pflanzenschutzmittelsteuer argumentiert wird, stellte Mußhoff in
Frage: "Die UFZ-Autoren unterstellen zunächst, dass Landwirte
unmotiviert rund zehn Prozent Pflanzenschutzmittel zu viel
ausbringen, also verschwenderisch mit ihnen umgehen. Allerdings sind
Pflanzenschutzmittel auch ohne Sondersteuer schon teure
Betriebsmittel. Wenn die Landwirte wirklich die dummen Bauern wären,
für die die UFZ-Autoren sie offenbar halten, bleibt unklar, warum sie
bei Einführung der Pflanzenschutzmittelsteuer über Nacht zu rational
handelnden Agrarmanagern werden sollen."
Der Agrarökonom sieht dahinter ein grundsätzliches Missverständnis
der UFZ-Gutachter zum Pflanzenschutzmittel-Einsatz in der
Landwirtschaft. Die Autoren hatten für den
Pflanzenschutzmittel-Einsatz eine Produktionsfunktion zu Grunde
gelegt, die sie zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Ertrag
und Düngemittel-Einsatz angenommen hatten.
Mußhoff widersprach: "Diese Produktionsfunktion lässt sich nicht
ohne Weiteres auf Pflanzenschutzmittel übertragen, vor allem nicht,
wenn wir von Insektiziden oder Herbiziden sprechen. Wird etwa die
erforderliche Aufwandmenge zur Bekämpfung von Ackerfuchsschwanz
unterschritten, so tritt überhaupt keine Ertragswirkung ein". Die
Aufwandmengen werden im Rahmen der behördlichen Zulassung festgelegt
und sollen die Wirksamkeit der Mittel sicherstellen. "Niemand käme
auf die Idee, bei Medikamenten aus rein ökonomischen Erwägungen die
vom Arzt verschriebene Dosis zu halbieren; das Risiko wäre zu groß,
dass die heilende Wirkung ausbleibt und sich schlimmstenfalls
Resistenzen bilden. Auf dieser Fehlannahme aber fußen die
Überlegungen zur ökonomischen Lenkungswirkung einer
Pflanzenschutzmittelsteuer", erläuterte der Agrarökonom.
Für unzureichend hält Mußhoff schließlich die einzelbetriebliche
Wirkungsanalyse der UFZ-Studie zur Pflanzenschutzmittelsteuer. "Viele
der Annahmen der Leipziger Forschergruppe sind viel zu pauschal, um
die Wirklichkeit der deutschen Landwirtschaft abzubilden. Wir halten
es für notwendig, die betrieblichen Auswirkungen zu differenzieren
nach Standort, Kultur, Produktionsverfahren und möglichen
Anpassungsreaktionen der Landwirte", erläuterte Mußhoff.
Abzusehen sei beispielsweise, dass auf ertragsstarken Standorten
die Pflanzenschutzmittelsteuer keine Auswirkungen auf die
Einsatzmengen haben wird, sondern lediglich die Kosten für die
Betriebe erhöht und damit ihr Einkommenspotenzial schwächt. "In
Regionen mit schlechterer Bodenqualität und geringeren
Niederschlägen, wie etwa in Brandenburg, könnten Flächen brach
fallen, weil sie nicht mehr rentabel bewirtschaftet werden könnten",
schloss Mußhoff. "Auch ist absehbar, dass behandlungsintensive
Ackerkulturen wie Gerste von den Landwirten ersetzt werden durch
Kulturen, die weniger Pflanzenschutzmittel-Anwendungen brauchen, zum
Beispiel Mais. Und dann wird es schließlich Regionen geben, in denen
die Rentabilität so weit sinkt, dass den Landwirten nichts anderes
übrig bleibt, als ihren Betrieb aufzugeben." Die Einführung einer
Pflanzenschutzmittelsteuer in Deutschland könnte damit gleichzeitig
bedeuten, dass die Ackerfläche bei Handelspartnern in anderen
Weltregionen ausgeweitet wird und so tropischer Regenwald abgeholzt
werden müsste. Alle diese Folgen blieben in der UFZ-Studie
unberücksichtigt.
Die vollständige Studie mit den detaillierten Berechnungen wird
Mußhoff im Frühjahr 2017 abschließen und veröffentlichen.
Der Industrieverband Agrar e. V. (IVA) vertritt die Interessen der
agrochemischen Industrie in Deutschland. Zu den Geschäftsfeldern der
50 Mitgliedsunternehmen gehören Pflanzenschutz, Pflanzenernährung,
Schädlingsbekämpfung und Biotechnologie. Die vom IVA vertretene
Branche steht für innovative Produkte für eine moderne und
nachhaltige Landwirtschaft.
Pressekontakt:
Industrieverband Agrar e. V., Pressestelle
Martin May
Tel. +49 69 2556-1249 oder +49 151 54417692
Fax +49 69 2556-1298
E-Mail: may.iva@vci.de
http://www.iva.de
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