Folgen neoliberaler Deregulierung / BCC-Fachtagung 2017 wendet sich gegen soziale Ungleichheit
Geschrieben am 13-04-2017 |
Frankfurt am Main (ots) - Der Zusammenhang von wachsender
Ungleichheit und Kapitalkriminalität stand im Mittelpunkt der
diesjährigen Fachtagung der Nichtregierungsorganisation Business
Crime Control (BCC) in Frankfurt am Main. Drei kompetente Referenten
beleuchteten verschiedene Aspekte der Folgen neoliberaler
Deregulierung. Dr. Markus Grabka vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) stellte empirische Daten zum
Auseinanderdriften sowohl von Einkommen als auch von Vermögen in der
Bundesrepublik vor. Wie Cum/Ex-Aktiengeschäfte funktionieren, mit
denen der Staat um Milliarden Euros geprellt wurde, erläuterte Dr.
Benedict Ugarte Chacón, Referent der Fraktion Die Linke im
Bundestagsuntersuchungsausschuss zum Steuer-Skandal. Der
investigative Journalist Mathew D. Rose beschrieb die rückläufige
Vielfalt in den veröffentlichten Meinungen und setzte diese in Bezug
zur Konzentration in der Medienbranche.
Das verbindende Element zwischen beiden Phänomenen - Ungleichheit
und Kapitalkriminalität - verortet Business Crime Control im
neoliberalen Mainstream: Anders als im vorherigen Keynesianismus sei
dem Marktradikalismus jede Regulierung eine Regulierung zu viel: der
Markt verfüge über Selbstheilungskräfte und "werde es schon richten".
Damit befördere der Neoliberalismus eine egoistische, ungebremste
Glücksritter-Mentalität und lasse das Unrechtsbewusstsein sinken.
Wie stark die Spreizung bei den Einkommen und Vermögen
voranschreitet, zeigte Dr. Markus Grabka mit umfangreichem
statistischen Material. Das DIW lieferte auch die Datengrundlagen für
den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Grabka betonte,
wie unvollständig die Daten bei Hochvermögenden sind: in der
Stichprobe gebe es nur eine Person mit einem Vermögen von 50
Millionen Euro. Aber die privaten Vermögen reichten beispielsweise
bei BMW-Hauptaktionärin Susanne Klatten bis zu 15 Milliarden. Über
die Top-Vermögen ist wenig bekannt. Die erfassten obersten ein
Prozent haben ein durchschnittliches Vermögen von 817.000 Euro. Die
unteren fünfzig Prozent der Bevölkerung haben einen Anteil am
Gesamtvermögen von 0,4 Prozent. Beim untersten Zentil sind es -1,4
Prozent, was bedeutet, dass sie nur Schulden haben. Die
Vermögensverteilung in Deutschland weist eine auch im internationalen
Vergleich hohe Spreizung auf.
Mit welchen legalen Mitteln große Vermögen noch größer werden
können, erläuterte Grabka am Beispiel einer steuerbegünstigenden
Vorschalt-GmbH für Immobilienbesitz. Wie eine illegale Methode
funktioniert, stellte Dr. Benedict Ugarte Chacón an der
Funktionsweise von Cum/Ex-Geschäften dar. An der Komplexität dieser
Art von Aktiengeschäften ließ sich nachempfinden, warum nicht jeder
Finanzbeamte in der Lage war, das Dickicht dieser dunklen Geschäfte
vollständig zu durchleuchtet. Rund tausend Seiten werde der Bericht
des Untersuchungsausschusses umfassen, den danach kaum jemand lesen
werde. Seit 2013 ist die Praxis unterbunden, von der sich auch
Geschäftemacher wie Carsten Maschmeyer sicheren Profit erhofft
hatten: Zwölf Prozent Rendite habe ihm seine Bank versprochen, worauf
er mit Freunden gemeinsam 40 Millionen Euro mobilisiert habe. Weil
das Tricksen doch nicht so lief wie gewünscht, verklagte er das
Bankhaus Sarasin auf Schadenersatz. Auch der Finanzberater-Papst will
nicht gewusst haben, dass die hohen Renditen der
Cum-Ex-Aktiengeschäfte daher rührten, dass sich die Beteiligten die
Kapitalertragssteuer mehrfach zurückerstatten ließen, um die
Bereicherung unter sich aufzuteilen.
Mathew D. Rose befasste sich mit der Frage, warum großen
finanziellen Schaden erzeugende Wirtschaftsverbrechen selten
umfassend in den Medien erscheinen. Der investigative Journalist zog
eine Linie von vorzugsweise veröffentlichten Mainstream-Meinungen zur
Konzentration in der Druck- und Medienbranche. Die einst größere Zahl
von Zeitungen ermöglichte auch eine größere Vielfalt bei Themen und
Kommentaren. Doch heute sind es nur sehr wenige Häuser, die Zeitungen
und Zeitschriften herausgeben oder Radio- und Fernsehprogramme
senden. Rose zog daraus den Schluss, dass es verstärkt alternativer
Medien und Informationsplattformen bedürfe.
Aus den Vorträgen und der anschließenden, von Herbert Stelz
moderierten Diskussion, der - nicht unwidersprochen - eine Lanze für
die öffentlich-rechtlichen Medien brach, ergaben sich Forderungen,
welche sich BCC zu eigen machte.
Die wachsende finanzielle Ungleichheit und das soziale
Auseinanderdriften der Gesellschaft in Deutschland mache ein
konsequentes Umsteuern in der Steuer-, Bildungs- und Sozialpolitik
erforderlich.
Enorme Ungerechtigkeiten durch die Besserstellung von
leistungslosen Einkommen wie Kapitaleinkünften gegenüber Einkommen
aus nicht-selbständiger Arbeit, das Fehlen einer Vermögenssteuer,
eine zu niedrige Erbschaftssteuer, ein abgesenkter Spitzensteuersatz,
der durch eine eher wirkende Einkommenssteuerprogression finanziert
wurde, und Steuerbefreiungen für Beteiligungsverkäufe müssen ebenso
beseitigt werden wie Steuerverabredungen mit Konzernen oder
Steueroasen in Europa und Übersee.
Zudem fordert BCC, Steuerverwaltung und Justiz personell,
organisatorisch und fachlich so auszustatten, dass sie systematischem
Steuerbetrug in Zukunft wirksam entgegentreten können.
Die Unabhängigkeit der Berichterstattung in den Medien müsse
wieder gegenüber Eigentümerinteressen gestärkt werden, damit sie auch
über alle Formen von Wirtschaftskriminalität umfassend aufklären und
die Debatte über notwendige Gegenmaßnahmen befördern können. Die
Digitalisierung werde alternative, zivilgesellschaftliche
Medien-Initiativen antreiben.
Pressekontakt:
Peter Menne / Carsten Mohr
+49 163 21 88 210
c.mohr@businesscrimecontrol.org
Original-Content von: Business Crime Control e.V., übermittelt durch news aktuell
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