Neue Westfälische (Bielefeld): Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl ist tot
Der Mantel der Geschichte
Thomas Seim
Geschrieben am 16-06-2017 |
Bielefeld (ots) - Helmut Kohl füllte jeden Raum. Er beherrschte
seine Umgebung. Das war seine Stärke - und seine größte Schwäche. Der
Kanzler der Einheit ist tot. Er starb im Alter von 87 Jahren. Niemand
lenkte bislang die Geschicke der zweiten, erfolgreichen Republik in
Deutschland so lange und so uneingeschränkt. Deutsche Einheit,
europäische Einigung, der Euro - all diese politischen Leistungen
sind mit dem Namen Helmut Kohls verbunden. Sicher, diese historischen
Errungenschaften sind dem Kanzler der Einheit als Ergebnis der
erfolgreichen Arbeit seiner beiden sozialdemokratischen Vorgänger
Willy Brandt und Helmut Schmidt auch gewissermaßen in den Schoß
gefallen. Das ändert aber nichts an der historischen Rolle des
Verstorbenen. Er war ein politisches Glückskind: In seiner
Regierungszeit wehte oft der Mantel der Geschichte. Am Ende seines
Lebens stand Helmut Kohl gleichwohl vor den Trümmern seiner Amtszeit:
Von der CDU, der er 25 Jahre vorsaß, hatte er sich durch die
Niederlegung seines Ehrenvorsitzes unwiderrufbar distanziert. Sie
sich von ihm auch, auch wenn sie gerade in jüngerer Vergangenheit
wieder seine Nähe suchte. Dass die amtierende CDU-Vorsitzende Angela
Merkel länger für ihre Kondolenz durch ihren Sprecher benötigte als
der SPD-Vizekanzler Gabriel - es ist ein marginales Zeichen des
Bruchs, aber es ist eins. Auf alle seine Verdienste hat Helmut Kohl
selbst einen Schatten gelegt: Er stellte sich über das Gesetz und
verweigerte die Preisgabe seiner illegalen Spender. Das wiegt schwer
in einer Gesamtwürdigung der Leistung eines deutschen
Regierungschefs. Viele Wegbegleiter bagatellisieren diesen Fehler
gern als "unschöne Fußnote". Doch tatsächlich hat dieses
autokratische Selbstverständnis eines demokratisch gewählten
Bundeskanzlers das Vertrauen in Politik und Demokratie getroffen.
Vielleicht ist die Mahnung dieses Selbstverständnisses zugleich auch
eine Mahnung, die Endlichkeit eines Amtes stärker zu respektieren.
Bis zu seiner Abwahl und der Affäre war Helmut Kohl offen für
streitige Debatten, konnte zuhören und vor allem sich mit
berechtigter, auch scharfer Kritik auseinandersetzen, daraus Lehren
ziehen und sich korrigieren. Die CDU hat eine ihrer größten
Führungsfiguren verloren - Deutschland den Kanzler der Einheit. Seine
Leistung muss in der Rückschau wohl größer bewertet werden als die
Konrad Adenauers. Trotz alledem.
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Neue Westfälische
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