Mittelbayerische Zeitung: Respekt, Herr Präsident! / Einst war er SPD-Kanzlerkandidat und knallharter Parteipolitiker, doch nun mahnt Frank-Walter Steinmeier die Parteien, nicht vor ihrer Verantwortun
Geschrieben am 30-11-2017 |
Regensburg (ots) - Beim Bundespresseball vor einer Woche war
Frank-Walter Steinmeier der am heftigsten umworbene Gesprächspartner.
Doch das deutsche Staatsoberhaupt ließ sich keine Silbe zu seiner
derzeit schwierigsten Mission entlocken. Sein Drängen auf eine
handlungsfähige und hinreichend fundierte Bundesregierung will der
einstige deutsche Chefdiplomat nicht durch eigene Indiskretionen
unterminieren. Es wird im aufgeregten Berliner Polit-Betrieb schon
genug geschwätzt, kolportiert und zum Teil voreilig und sogar falsch
vermeldet. Das ist nicht gut. Auf dem spiegelglatten Parkett, wo
wenig offen gesagt, dafür aber umso mehr intern besprochen werden
muss, ist Steinmeier bislang nicht ausgerutscht. Und das ist in der
jetzigen, seltsamen und für Deutschland gänzlich ungewohnten
politischen Übergangsphase goldrichtig. Steinmeiers
ergebnisorientiertes, überparteiliches Agieren verdient Anerkennung.
Dabei hätten viele, die Steinmeiers Nominierung für das höchste Amt
im Staate vor knapp einem Jahr kritisch begleiteten, diese
verantwortungsvolle, im besten Sinne staatstragende Rolle dem
einstigen SPD-Politiker nicht zugetraut. Es war der damalige SPD-Chef
Sigmar Gabriel, der Angela Merkel mit der Personalie Steinmeier
gleichsam überrumpelt hatte. Die CDU-Chefin hatte in den eigenen
Reihen der Union keinen ähnlich schwergewichtigen Kandidaten, oder
eine Kandidatin, für das Schloss Bellevue aufzuweisen. Einer, der es
zweifellos gekonnt hätte, der eloquente Ex-Bundestagspräsident
Norbert Lammert, wollte partout nicht. Einen Quereinsteiger, wie
ehemals den Weltbanker Horst Köhler, den Merkel einst zusammen mit
FDP-Chef Guido Westerwelle am Küchentisch nominierte, gab es auch
nicht. Gabriels Coup mit dem beliebten SPD-Außenminister könnte heute
dazu beitragen, den politischen Schwebezustand des Landes zu
überwinden. Im Wechselbad der Gefühle und politischen Stimmungen seit
dem 24. September ist Steinmeier so etwas wie der erfahrene
Klassenlehrer, der den kopflos hin und her irrenden und sich
balgenden Schülern wieder Richtung gibt, eine klare Ansage macht. Die
gestrige "Sprechstunde" im Bellevue war, auch wenn sie noch keine
Klarheit brachte und nicht bringen konnte, wer Deutschland künftig
regieren wird, eine Lehrstunde in Demokratie. Denn wer auch immer in
den Bundestag gewählt worden ist, hat dort seine Verantwortung
wahrzunehmen, entweder in Regierungsfraktionen oder in der
Opposition. Diese Verantwortung dagegen leichtfertig wieder
zurückzugeben - und auf vorgezogene Neuwahlen zu setzen - ist nicht
im Sinne der Verfassung. Respekt, Herr Bundespräsident, für diese
Nachhilfestunde in Demokratie! Gerade in der jetzigen, bewegten Zeit
wuchs dem Staatsoberhaupt eine Schlüsselrolle zu. Er könnte die
Weichen stellen für eine Minderheitsregierung. Steinmeier müsste dazu
"nur" die CDU-Vorsitzende Angela Merkel als Kanzlerkandidatin dem
Bundestag vorschlagen. Und wenn sie in den beiden ersten Wahlgängen
die absolute Mehrheit verfehlen sollte, könnte sie in einem dritten
Wahlgang mit einfacher Mehrheit zur Kanzlerin einer
Minderheitsregierung gewählt werden. Viele halten eine solche, in
Deutschland völlig unbekannte Variante des Regierens für spannend.
Der Bundestag bekäme viel mehr Macht, die Debatten mehr Würze. Die
Kanzlerin wäre gezwungen, sich Mehrheiten zu organisieren. Doch genau
dies will Steinmeier nicht. Weil er überzeugt davon ist, dass
Stabilität und Verlässlichkeit in der Politik wichtig sind. Im Inland
genauso wie im Ausland.
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Mittelbayerische Zeitung
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