Westfalen-Blatt: das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zur Großen Koalition
Geschrieben am 12-01-2018 |
Bielefeld (ots) - Das Beste vorweg: In Sachen Kondition ist den
Sondierern von Union und SPD wahrlich kein Vorwurf zu machen. Den
selbst gesteckten Zeitrahmen haben sie konsequent eingehalten und mit
dem 24-Stunden-Sitzungsmarathon zum Schluss einen beeindruckenden
Kraftakt hingelegt. Physisch wie mental. Das verdient Respekt und ein
Lob! Unübersehbar: Der Wille zur Macht ist bei allen Beteiligten
ebenso vorhanden wie die unvermeidliche Bereitschaft zum Kompromiss.
Wer den Glauben an die Handlungsfähigkeit deutscher Politik nach dem
Jamaika-Debakel schon aufgegeben hatte, sieht sich fürs Erste eines
Besseren belehrt. Es gibt sie offenkundig doch noch, die
staatspolitische Verantwortung. Gut so! Auch im Ausland wird man das
mit einiger Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Ob das allerdings, was
CDU, CSU und SPD auf 28 Seiten als Ergebnis festgehalten haben, sich
als gut oder schlecht für Deutschland erweisen wird, ist eine ganz
andere Frage. Zweifel sind mehr als angebracht. Immerhin ist das
Papier so konkret, dass es den weiteren Weg zur Bildung einer neuen
Bundesregierung aus Union und SPD präzise vorzeichnet. Jeder weiß,
was er bekommen würde und was eben auch nicht. Unter dem Strich ist
das Sondierungsergebnis ein ehrliches, um nicht zu sagen entlarvendes
Abbild der gegenwärtigen politischen Situation. Es fasst die
Gespräche dreier massiv geschwächter Parteien zusammen, die seit den
drastischen Verlusten bei der Bundestagswahl unter erheblichem Druck
standen und weiterhin stehen. Wie auch ihre Protagonisten, die drei
Parteichefs selbst - und das ohne Zweifel auch durch persönliches
Verschulden. Was Wunder also, dass Angela Merkel, Martin Schulz und
Horst Seehofer die Ergebnisse jetzt unisono als ein »Signal des
Aufbruchs« gelobt haben. Das allerdings erscheint übertrieben
optimistisch. Der Aufbruch, der diesem Papier innewohnt, ist
allenfalls dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass es mit 45
Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren eine gigantische Summe zu
verteilen gibt, ohne auch nur einem einzigen Bürger im Land wehzutun.
Folglich regierte abermals das Prinzip Gießkanne: Ein klarer Kurs
Richtung Zukunft ist daraus kaum abzuleiten, schon eher ein
routiniertes Verwalten der gesamtgesellschaftlich äußerst bequemen
Gegenwart. Kleine Lerneffekte inbegriffen. So kann jede der drei
Parteien für sich beanspruchen, das durchgesetzt zu haben, was ihr
unverhandelbar erschien. Die SPD punktet mit vielen Vorhaben, die dem
Stichwort »soziale Gerechtigkeit« Rechnung tragen. Die CSU kann sich
rühmen, den Verhandlungen beim Thema Begrenzung der Zuwanderung ihren
Stempel aufgedrückt zu haben. Und die CDU wird die Entlastungen der
Steuerzahler beim Solidarzuschlag wie den Verzicht auf
Steuererhöhungen betonen. Schon jetzt allerdings müssen die
Koalitionäre in spe darauf hoffen, dass die gesamtwirtschaftliche
Lage auch weit über das noch junge Jahr 2018 hinaus anhält.
Andernfalls könnte sich manch milliardenschwerer Wunsch - wie der
dritte Punkt bei der Mütterrente beispielsweise - noch als
unbezahlbarer Traum entpuppen. Von der stetig wachsenden Last für die
nachfolgenden Generationen ganz zu schweigen. Apropos nächste
Generation: Dass der SPD-Parteitag auf Initiative seiner
Jugendorganisation »Jusos« die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen
am kommenden Sonntag ablehnt, ist kaum zu erwarten. So weit sollte
der Einfluss des emsigen Parteichefs Martin Schulz und seiner
Vorstandsmitglieder allemal reichen. Die Werbetour für die kommenden
Tage mit Schwerpunkt auch im mächtigen Landesverband
Nordrhein-Westfalen ist schon organisiert. Weitaus unkalkulierbarer
dürfte das Votum der SPD-Mitglieder am Ende der
Koalitionsverhandlungen sein. Aber auch da können Merkel, Schulz und
Co. guter Hoffnung sein. Es bleibt eben dabei: Ordnungspolitik hat es
schwer in unserer Republik, in der es vor allem den beiden größten
politischen Parteien allen Pannen zum Trotz immer noch in einem
erstaunlichen Ausmaß gelingt, am Allmachtsversprechen des Staates
festzuhalten.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell
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