Aachener Zeitung: Meinungsfeiglinge
Vom Umgang mit der Pressefreiheit und der AfD
Bernd Mathieu
Geschrieben am 23-02-2018 |
Aachen (ots) - Der Bundestag solle zwei "taz"-Kolumnen des aus
türkischer Haft freigelassenen "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel aus
den Jahren 2011 und 2012 missbilligen. So hatte es die AfD beantragt.
Dieses Ansinnen passt zu einer Diktatur. Es stellt den unverhohlenen
Schritt zur staatlichen Zensur dar. Diese Grenzüberschreitung ist in
der Geschichte der Bundesrepublik einmalig. Dass es dafür Beifall bis
in bürgerliche Kreise gibt, zeigt, wie weit die AfD sich ausgebreitet
hat. Das Motto der empörten Herrschaften, etwa in "Facebook"
nachzulesen, lautet: Wie kann man sich für einen Schreiberling
einsetzen, der skandalöse Pamphlete verfasst, Thilo Sarrazin
beleidigt (bestimmt kein Glanzlicht von Yücel, sondern eine schwere
Verletzung des Persönlichkeitsrechts) und "eigentlich" Türke ist?
Andersherum: Wer sich negativ über Deutschland äußert, hat das Recht
verwirkt, dass sich der Staat für ihn einsetzt, der bleibt im
türkischen Gefängnis. Das sind wahrhaft lupenreine Demokraten!
Pressefreiheit ist unentbehrlich. Sie steht nicht zur Disposition,
erst recht nicht in einem Parlament. Sie gehört zur Identität unserer
Demokratie und unseres Lebensstils. Und: zur Selbstreflexion von
Journalisten, zum verantwortlichen Umgang mit diesem hohen Gut, das
einige zuweilen etwas ruppig behandeln - weil zu schlampig
recherchierend, gelegentlich zu skandalisierend und doch insgesamt:
im Grunde seriös. Und: oft richtig gut störend. Konflikte sind nicht
zu vermeiden. Niemand kann auf alle Rücksicht nehmen. Jedem nach dem
Mund zu schreiben, gefährdet die Pressefreiheit, weil sie dann der
Willkür der Tagesmentalität erliegt. Pressefreiheit muss wach halten,
mal sensibel, mal laut, mal beides, nie angepasst. Die Türkei hat
eine Verfassung mit dem Satz: "Die Presse ist frei, eine Zensur
findet nicht statt." Die Türkei hat eine Regierung, die damit nichts
mehr zu tun hat. Sie sperrt unbequeme Journalisten weg. Wie Deniz
Yücel. In den einschlägigen sogenannten sozialen Netzen wird Yücel
nun massiv kritisiert - wegen des satirischen (!) Textes in seiner
"taz"-Kolumne vom 4. August 2011. Darin heißt es: "Der baldige Abgang
der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine
Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der
Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen Namen und Gesicht
verliehen und, wie Wolfgang Pohrt einmal schrieb, den Krieg zum
Sachwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit gemacht zu haben; eine
Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter
Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; eine Nation, die
Dutzende Ausdrücke für das Wort 'meckern' kennt, für alles Erotische
sich aber anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache
nur verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat,
diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden." Diese heftige
Polemik kommt gewiss ziemlich unverschämt daher. Dagegen ist
Widerspruch angebracht und nötig. Jedoch: Wer Pressefreiheit ernst
nimmt, der muss dafür kämpfen, dass solche Texte veröffentlicht
werden dürfen. Das ist die Würze unserer Demokratie,
Meinungsfreiheit par excellence. Pressefreiheit erschöpft sich nicht
in der Bestätigung der eigenen Meinung. Pressefreiheit taugt nicht
für Meinungsfeiglinge. Pressefreiheit zu leben, heißt, alles, was wir
zu wissen glauben, in Frage zu stellen und in der Recherche noch mal
von vorne anfangen zu können, wenn es denn nötig wird. Der legendäre
Chefredakteur des "Berliner Tageblatt", Theodor Wolff, hat diese
gesunde Skepsis nachhaltig so formuliert: "So schwebt über jeder
Wahrheit noch ein letztes Vielleicht." Zeitungen sind keine
Konsensmaschinen. Wenn sie es wären, müsste man fragen: Warum
braucht man dann überhaupt noch freie Journalisten? Für die AfD wäre
das wohl eine wunderbare Welt. Dann könnte man die recherchelose und
einseitige Meinungsbildung ganz den Facebook-Freunden überlassen. Was
für eine absurde Vorstellung!
Pressekontakt:
Aachener Zeitung
Redaktion Aachener Zeitung
Telefon: 0241 5101-389
az-blattmacher@zeitungsverlag-aachen.de
Original-Content von: Aachener Zeitung, übermittelt durch news aktuell
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
627246
weitere Artikel:
- EU-Terminvorschau vom 25. Februar bis 3. März 2018 Berlin (ots) - Die EU-Terminvorschau ist ein Service der
Vertretungen der EU-Kommission in Deutschland für Journalisten. Sie
kündigt vor allem Termine der EU-Kommission, des Europäischen
Parlaments, des Rates der Europäischen Union und des Europäischen
Gerichtshofes mit besonderer Bedeutung für Deutschland an.
Kurzfristige Änderungen sind möglich.
Sonntag, 25. Februar
Skopje/Tirana: EU-Kommissionspräsident Juncker startet
Westbalkanreise (bis 1.03.)
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker besucht gemeinsam mit mehr...
- phoenix Live: Sitzung der CDU-Parteigremien / PK Bundeskanzlerin Merkel mit Benennung der CDU-Ministerriege - Sonntag, 25. Februar 2018, ab 16.00 Uhr Bonn (ots) - Im Vorfeld des CDU-Sonderparteitags am Montag zur
Abstimmung über den Koalitionsvertrag kommen am Sonntagnachmittag die
Parteigremien in Berlin zusammen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat
angekündigt, bis zum Parteitag die Kabinettsliste mit den Namen der
insgesamt sechs designierten CDU-Ministerinnen und -Minister zu
veröffentlichen. phoenix berichtet von den Ergebnissen der
Präsidiums- und Vorstandsitzung und überträgt die am frühen Abend
erwartete Pressekonferenz von Angela Merkel live.
Aus Berlin ist phoenix-Korrespondent mehr...
- Frankfurter Rundschau: Chance vertan Frankfurt (ots) - Nur zähneknirschend fügen sich die Staats- und
Regierungschefs der Forderung, die Wähler weiter darüber entscheiden
zu lassen, wer nach den Europawahlen 2019 Präsident der EU-Kommission
wird. Im Kern geht es um einen Machtkampf zwischen Parlament und
Mitgliedsländern. Früher kungelten die Staats- und Regierungschefs
den Kommissionspräsidenten im Hinterzimmer aus. Nun sagen sie:
Spitzenkandidaten sind okay. Aber wenn wir wollen, gehen wir doch
wieder ins Hinterzimmer. Die Staatenlenker sind auch skeptisch, wenn
es mehr...
- neues deutschland: Globale Gefahren und hilflose UNO - Kommentar zur Situation in Syrien Berlin (ots) - Nirgends in der Welt wird derzeit so ungestraft
gemordet wie in Syrien. Man bombt, zerstört, hungert aus. Ist das
»Katastrophenrhetorik«? So glaubte Russlands UN-Botschafter, sein
jüngstes Veto gegen eine Waffenstillstandsresolution für Ost-Ghuta
unterlegen zu müssen. Und wie irrsinnig ist es, wenn Washington
reflexartig mit neuen Angriffen gegen Assad droht? Unheimlich
unbemerkt nähert man sich im syrischen Drama einer zweiten, global
brisanten Ebene. Bei der Assad und die Rebellen nicht mal
Stellvertreter sind. mehr...
- Neue Westfälische (Bielefeld): Unsichere politische Lage - Laschet verschiebt USA-Reise Bielefeld (ots) - NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat
seine für Anfang März geplante Reise in die USA verschoben. Dies
berichtet die in Bielefeld erscheinende Neue Westfälische
(Samstagausgabe) unter Berufung auf die Düsseldorfer Staatskanzlei.
Dort hieß es, Laschet wolle wegen der unsicheren politischen Lage in
Deutschland bleiben. Offenbar will Laschet im Fall eines Neins der
SPD-Basis zur GroKo in der Woche nach dem Mitgliederentscheid der SPD
bei den zu erwartenden Krisensitzungen seiner Partei nicht fehlen.
Laschet mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|