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Studie: Frauen werden im juristischen Staatsexamen schlechter beurteilt als Männer / Schlechtere Noten auch für Personen mit Migrationshintergrund

Geschrieben am 26-04-2018

Berlin (ots) - Frauen schneiden im zweiten juristischen
Staatsexamen um knapp 2 Prozent schlechter ab als Männer. Im Bereich
der Prädikatsnoten ist der Geschlechtereffekt zuungunsten der Frauen
besonders ausgeprägt: 12 Prozent weniger Frauen überspringen die
überaus karriererelevante Notenschwelle von 9 Punkten. Nur wer mit
einer Note von 9 Punkten oder besser ein so genanntes Prädikatsexamen
vorweisen kann, wird zum Beispiel zum Staatsdienst zugelassen.
Bezieht man weitere Faktoren wie Abiturnote, Alter und
Prüfungszeitpunkt in den statistischen Vergleich ein, sind die
Unterschiede noch ausgeprägter.

Auch ein Migrationshintergrund führt zu schlechteren Noten. So
schneiden Rechtsreferendare, die im Ausland geboren sind und keine
deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, im zweiten Examen 17 Prozent
schlechter ab als deutsche Prüflinge. Die Wahrscheinlichkeit, eine
Prädikatsnote zu erreichen, ist für sie sogar um 70 Prozent geringer.
Auch in Deutschland geborene Prüflingen mit deutschen Pass, aber
"nicht-deutschem" Namen werden im Durchschnitt schlechter beurteilt.
Die Unterschiede bleiben auch bestehen, wenn Vornoten in die Analyse
einbezogen werden.

Das sind Ergebnisse einer Studie von Andreas Glöckner
(FernUniversität Hagen), Emanuel Towfigh (EBS Universität Law
School), und Christian Traxler (Hertie School of Governance) im
Auftrag des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen.
Sie basiert auf einem umfangreichen Datensatz, der die Ergebnisse von
rund 20.000 Prüflingen umfasst, die zwischen 2006 und 2016 ihre
ersten und zweiten juristischen Staatsprüfungen in NRW ablegten. Das
Justizministerium hat die Studie beauftragt, nachdem die Autoren in
einer ersten Studie 2014 Geschlechts- und Herkunftseffekte bei der
Benotung juristischer Staatexamen entdeckt hatten. Die Folgestudie
untermauert und differenziert die Ergebnisse auf einer breiten
Datenbasis.

Einen deutlichen Einfluss auf den festgestellten
Geschlechtereffekt bei mündlichen Prüfungen hat der Studie zufolge
die Zusammensetzung der dreiköpfigen Prüfungskommissionen: So haben
Rechtsreferendarinnen mit den gleichen schriftlichen Vornoten wie
ihre männlichen Kollegen bei einer mit drei Männern besetzten
Kommission eine um 2,3 Prozentpunkte geringere Chance, die
nächsthöhere Notenschwelle zu überspringen. Ist jedoch zumindest eine
Frau in der Kommission, verschwindet dieser Unterschied. In gemischt
besetzten Gremien haben Männer eine marginal schlechtere Chance,
Frauen aber eine marginal bessere Chance auf die nächsthöhere
Notenstufe. Dieser Effekt verstärkt sich an der Schwelle zum
Prädikatsnotenbereich: Während bei rein männlichen Kommissionen der
Geschlechterunterschied 6 Prozentpunkte beträgt, steigt die
Wahrscheinlichkeit auf die nächste Notenstufe für Frauen bei
gemischten Kommissionen um 3 Prozentpunkte, für Männer sinkt sie um
den gleichen Wert. Es kommt somit zu einer vollständigen
Nivellierung.

Diese Beobachtung spricht aus Sicht von Glöckner, Towfigh und
Traxler für eine - möglicherweise unbewusste - Diskriminierung als
Ursache der Unterschiede. Dies gibt den Prüfungsämtern zugleich einen
Hebel in die Hand, um der Diskriminierung entgegenzuwirken: 52
Prozent der Examenskandidaten sind Frauen, doch 65 Prozent der
Prüfungskommissionen waren im Betrachtungszeitraum rein männlich
besetzt. Erst zum Ende des Zeitraums stieg der Anteil gemischt
besetzen Kommissionen deutlich an. "Die Teilnahme von Prüferinnen ist
wichtig für eine geschlechterneutrale Beurteilung und sollte
entsprechend forciert werden," so die Autoren. Ferner sollte geprüft
werden, den Kommissionen die Vornoten der Kandidaten nicht zu
benennen, denn die deutliche Verstärkung der beobachteten Effekte
rund um die relevanten Notenschwellen, insbesondere um die Schwelle
zum Prädikat, lege ein strategisches Vorgehen der Prüfer nahe: "Die
Aggregation von unabhängigen schriftlichen und mündlichen Bewertungen
könnte zum Ausgleich von Fehlern in der Beurteilung und damit auch zu
valideren Bewertungen führen."

Schwieriger gestaltet sich die Herleitung von empirisch fundierten
Handlungsempfehlungen, um den in der Studie gemessenen
Herkunftseffekten entgegenzuwirken. Die Zahl von Prüfern und
Prüferinnen mit Migrationshintergrund ist bislang so gering, dass
statistische Aussagen nicht möglich sind. Eine Analogie zum
Geschlechtereffekt ist allerdings möglich, was für den Einsatz von
mehr Kommissionsmitgliedern mit Migrationshintergrund spricht. Die
Autoren empfehlen weitere Analysen insbesondere in diesem Bereich.

Die Studie wird heute (26. April) um 12 Uhr in der Hertie School
of Governance vorgestellt. Zur Anmeldung: http://bit.ly/2vNr7HB

Eine Zusammenfassung der Studie "Empirische Untersuchung zur
Benotung in der staatlichen Pflichtfachprüfung und in der zweiten
juristischen Staatsprüfung in Nordrhein-Westfalen von 2006 bis 2016",
von Andreas Glöckner, Emanuel Towfigh und Christian Traxler finden
Sie hier: http://bit.ly/2HtnFrh. Die vollständige Studie (62 Seiten)
kann hier heruntergeladen werden: http://bit.ly/2HTpJZ1.

Die Hertie School of Governance ist eine staatlich anerkannte,
private Hochschule mit Sitz in Berlin. Ihr Ziel ist es, herausragend
qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben im öffentlichen
Bereich, in der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft
vorzubereiten. Mit interdisziplinärer Forschung will die Hertie
School zudem die Diskussion über moderne Staatlichkeit voranbringen
und den Austausch zwischen den Sektoren anregen. Die Hochschule wurde
Ende 2003 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung gegründet und wird
seither maßgeblich von ihr getragen. www.hertie-school.org



Pressekontakt:
Regine Kreitz, Director Communications, Tel.: 030 / 259 219 113, Fax:
030 / 259 219 444, Email: pressoffice@hertie-school.org

Twitter: https://twitter.com/thehertieschool
Facebook: https://www.facebook.com/hertieschool/
LinkedIn: https://www.linkedin.com/school/55258/

Original-Content von: Hertie School of Governance, übermittelt durch news aktuell


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