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Bundeswehr plante in den 1960er-Jahren Einsatz von Chemiewaffen

Geschrieben am 03-05-2018

Hamburg (ots) - Entgegen öffentlichen Dementis hat die
Bundesrepublik in den 1960er-Jahren umfassende Planungen für den
Einsatz von Chemiewaffen angestellt. Das belegen Akten der Bundeswehr
und der US-Regierung, die nach jahrzehntelanger strenger
Geheimhaltung offengelegt wurden und die NDR, WDR und Süddeutsche
Zeitung jetzt auswerten konnten. Die Recherchen zeigen, dass viele
öffentliche Äußerungen von Bundesregierung und Bundeswehr nicht der
Wahrheit entsprachen.

Aus den Akten geht hervor, dass Verteidigungsminister Kai-Uwe von
Hassel (CDU) die US-Regierung 1963 um die Belieferung mit C-Waffen
bat. Von 1962 bis mindestens 1968 betrieb die Bundeswehr eine
detaillierte Planung für eine chemische Kriegführung, um einen
möglichen C-Waffen-Angriff des Warschauer Pakts zu vergelten. Zur
Umsetzung der Pläne kam es offenbar nicht, u. a. weil sich die
US-Regierung 1966 gegen eine Weitergabe chemischer Munition an die
Bundesrepublik entschied. Bundesregierung und Bundeswehr bestritten
immer wieder vehement, den Einsatz und Besitz von Chemiewaffen zu
planen und wiesen entsprechende Berichte zurück, etwa von Günter
Wallraff und Jörg Heimbrecht 1969/70 in der Zeitschrift "Konkret",
nach einem Beitrag des ARD-Magazins "Monitor" 1970 und in Reaktion
auf Vorwürfe der DDR ab 1968.

Die Bundesrepublik hatte 1961 in streng geheimen Sitzungen der
NATO eine Debatte über C-Waffen angestoßen und gefordert, nicht nur
die USA sollten die Fähigkeit zur Abschreckung und Vergeltung mit
C-Waffen haben. 1963 stellte Verteidigungsminister von Hassel eine
Anfrage an die US-Regierung für die Belieferung mit chemischer
Munition. Das Pentagon war zunächst bereit, dem nachzukommen. Da das
Außenministerium aber Bedenken äußerte, wurde die US-Position auf
Weisung des Nationalen Sicherheitsberaters von US-Präsident Kennedy
grundlegend diskutiert. 1966 entschieden sich die USA gegen eine
Weitergabe, ließen aber die Möglichkeit offen, Alliierten im
Kriegsfall chemische Munition zur Verfügung zu stellen.

Parallel dazu plante die Bundeswehr in einem kleinen Kreis
hochrangiger Offiziere seit 1962 auf Weisung des Generalinspekteurs
und in Rücksprache mit Verteidigungsminister und Staatssekretären
detailliert einen möglichen Einsatz von C-Waffen. Wie aus den von
NDR, WDR und SZ ausgewerteten Dokumenten hervorgeht, schlugen die
Militärs vor, 14.000 Tonnen C-Waffen für die Bundeswehr in den USA zu
beschaffen und im Ernstfall durch Artillerie und Luftwaffe gegen
Truppen des Warschauer Pakts einzusetzen. 1966 wurde die streng
geheime "Studiengruppe ABC-Wesen" in Sonthofen gegründet. Das
Expertenteam führte 1967 die Planuntersuchung "Damokles" durch, in
der Gefechte mit C-Waffen-Einsatz beider Seiten in der Region um
Braunschweig durchgespielt wurden. 1968 entschied
Verteidigungsminister Gerhard Schröder (CDU), "zunächst (...) keine
Vorbereitung für eine aktive Verwendung von chemischen Waffen durch
die Bundeswehr vorzusehen". Die Studiengruppe solle sich aber weiter
mit dem Thema beschäftigen.

Die Bundesregierung hatte sich 1954 - zusätzlich zum
internationalen Verbot des Einsatzes von C-Waffen durch das Genfer
Protokoll - dazu verpflichtet, keine chemischen Waffen herzustellen.
Darauf nahmen Ministeriumsjuristen bei ihrer Rechtfertigung der
geheimen Planungen Rücksicht. Zwar seien der Bundesrepublik
Entwicklung, Herstellung und Ersteinsatz von C-Waffen verboten, nicht
aber die Ausrüstung mit C-Waffen und ihre Lagerung, die Ausbildung
und ein Vergeltungsschlag mit C-Waffen, falls der Feind solche Waffen
zuerst einsetzen und damit Völkerrecht brechen würde. Die NATO
rechnete im Fall eines sowjetischen Angriffs mit einem raschen
Chemiewaffen-Einsatz durch den Warschauer Pakt. Deshalb sah auch die
1967 formulierte Strategie "Flexible Response" den limitierten
Einsatz tödlicher B- und C-Waffen zur Vergeltung vor.

Auf Anfrage von NDR, WDR und SZ erklärte das
Bundesverteidigungsministerium jetzt, ihm lägen zu den damaligen
Planungen keine Informationen vor, da der Vorgang zeitlich zu weit
zurückliege. "Heute existieren auf deutschem Boden weder in deutscher
noch in Verantwortung von NATO-Verbündeten Chemie-Waffen."

Über das Thema berichten u. a. am Mittwoch, 3. Mai, das NDR
Politikmagazin "Panorama" ab 21.45 Uhr im Ersten und die Sendung "Das
Forum" im Radioprogramm NDR Info ab 20.30 Uhr sowie die Süddeutsche
Zeitung in ihrer Freitagsausgabe. Auf tagesschau.de finden sich
einige der neu ausgewerteten Dokumente.



Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Bettina Brinker
Tel.: 040/4156-2302
Mail: b.brinker@ndr.de
http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse

Original-Content von: NDR / Das Erste, übermittelt durch news aktuell


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