BERLINER MORGENPOST: Nagelprobe für Europa / Leitartikel von Michael Backfisch zu Israel und Iran
Geschrieben am 10-05-2018 |
Berlin (ots) - Kurzform: Es ist nicht damit getan, dass die EU nur
Lippenbekenntnisse abliefert. Nach dem Motto: Wir halten an dem
Atomabkommen fest, solange Teheran die Bedingungen erfüllt. Nein, die
Europäer müssen in Kauf nehmen, dass deutsche, französische oder
niederländische Firmen in diesem Fall mit US-Strafmaßnahmen belegt
werden. Sie sollten dann Schadenersatz durch die jeweilige Regierung
oder durch Brüssel bekommen. Heute kommt es nicht nur darauf an, dass
die EU zu einer wirtschaftlichen Vernichtungskampagne oder gar einem
Krieg gegen den Iran Nein sagt. Sie muss ihr politisches Gewicht in
die Waagschale werfen, um deeskalierend im Nahen Osten zu wirken.
Diplomatie ist mühsam, langwierig und frustrierend- zumal auf einem
komplizierten Terrain wie dem Nahen Osten. Doch inmitten von außer
Rand und Band geratenen Kriegsparteien muss dies einer tun. Die
Amerikaner haben sich von dieser Aufgabe verabschiedet. Nun kommt es
auf die Europäer an.
Der vollständige Leitartikel: Experten warnten schon lange vor der
Gefahr einer Eskalation: Jetzt hat der Iran zum ersten Mal
israelische Ziele auf den Golanhöhen angegriffen. Der Iran ist seit
Jahren aktive Kriegspartei im syrischen Schlamassel.
Revolutionsgardisten, schiitische Milizen und Hisbollah-Einheiten
kämpfen an der Seite des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Sie
bauen ihre militärischen Basen aus. Und sie provozieren Israel nicht
nur mit Worten, sondern auch mit Drohnenattacken. Die Regierung in
Jerusalem reagiert mit Raketeneinsätzen auf iranische Stellungen in
Syrien. Das gleiche Muster aus Angriff und Vergeltungsaktion lag auch
in der Nacht zum Donnerstag vor. Die Lage in Syrien ist außer
Kontrolle geraten. Iran, dessen Schutzmacht Russland, Syrien, die
Türkei, säkulare und islamistische Rebellen streiten um Macht und
Einfluss. Mit dem Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus dem
Atomabkommen mit dem Iran ist der Konflikt noch explosiver geworden.
Anstatt die Akteure zu befrieden, hat Trump die Büchse der Pandora
geöffnet. Trumps rhetorischer Sturmlauf gegen Teheran und seine
wortgewaltige Verdammung der Mullahs lassen vermuten, dass der
Präsident etwas ganz anderes im Sinn hat: Er will durch die
Sanktionen die Daumenschrauben so anziehen, dass der iranischen
Wirtschaft die Luft ausgeht. Er strebt in Wahrheit einen
Regimewechsel an, damit das iranische Volk in "Freiheit" leben könne.
Dieses nicht zu Ende gedachte Kalkül erinnert an den Irak-Feldzug von
US-Präsident George W. Bush im Jahr 2003. Auch damals schwelgte
Washington in der Utopie, den autokratischen Machthaber Saddam
Hussein zu stürzen und quasi per Knopfdruck die Demokratie im Nahen
Osten einzuführen. Eine fatale Blauäugigkeit. Trump fühlt sich
derzeit psychologisch im Aufwind. Er glaubt, durch seine massiven
Drohkulissen den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un zu einer
Aufgabe seines Atomwaffenprogramms gezwungen zu haben. Doch erstens
ist noch nicht klar, ob Kim sein Arsenal - das bislang seine
Lebensversicherung war - wirklich verschrottet. Und zweitens haben
China und Südkorea an der aktuellen Bewegung Pjöngjangs einen
mindestens ebenso hohen Anteil wie die USA. Das Schlimme daran ist,
dass Amerika von den Verbündeten in Europa bedingungslose Loyalität
einfordert. Der neue US-Botschafter Richard Grenell hat zu seinem
Amtsantritt gleich eine Kostprobe geliefert: Deutsche Unternehmen
sollten ihr Iran-Geschäft schleunigst herunterfahren. Dieser
Kasernenhofton wird nicht funktionieren. Doch es ist nicht damit
getan, dass die EU nur Lippenbekenntnisse abliefert. Nach dem Motto:
Wir halten an dem Atomabkommen fest, solange Teheran die Bedingungen
erfüllt. Nein, die Europäer müssen in Kauf nehmen, dass deutsche,
französische oder niederländische Firmen in diesem Fall mit
US-Strafmaßnahmen belegt werden. Sie sollten dann Schadenersatz durch
die jeweilige Regierung oder durch Brüssel bekommen. Heute kommt es
nicht nur darauf an, dass die Europäische Union zu einer
wirtschaftlichen Vernichtungskampagne oder gar einem Krieg gegen den
Iran Nein sagt. Sie muss ihr politisches Gewicht in die Waagschale
werfen, um deeskalierend im Nahen Osten zu wirken. Diplomatie ist
mühsam, langwierig und frustrierend - zumal auf einem komplizierten
Terrain wie dem Nahen Osten. Doch inmitten von außer Rand und Band
geratenen Kriegsparteien muss dies einer tun. Die Amerikaner haben
sich von dieser Aufgabe verabschiedet. Nun kommt es auf die Europäer
an.
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BERLINER MORGENPOST
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