Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Bamf: Versagen von ganz oben von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 04-06-2018 |
Regensburg (ots) - Am Tag der Sündenvergebung Jom Kippur übertrug
der jüdische Hohepriester durch Handauflegen die Sünden des Volkes
Israel symbolisch auf einen Ziegenbock. Das Tier wurde dann in die
Wüste gejagt und nahm die Sünden der Menschen mit sich. Glaubte man
zumindest nach der biblischen Überlieferung. Das Nürnberger Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge ist für viele derzeit der Sündenbock,
der stellvertretend für die vielen unerklärlichen Fehler, für die
wirklichen oder bloß vermeintlichen Schlampereien in der Asyl- und
Flüchtlingspolitik in die Wüste geschickt werden soll. Aber das ist
viel zu einfach, viel zu kurz gegriffen. Die jetzt zu Tage tretenden
Ungeheuerlichkeiten in einer wichtigen Bundesbehörde haben ihre
tieferen Ursachen nicht nur im persönlichen Fehlverhalten von einigen
Mitarbeitern, Beamten, Leitern innerhalb des Bamf, sondern sind ein
Versagen von ganz oben. Nicht erst seit dem Spätsommer 2015 als
Hunderttausende Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber - monatelang
unkontrolliert - nach Deutschland kommen konnten, sondern bereits zu
Beginn der Kriege in Syrien und im Irak, musste in Kanzleramt und
Bundesinnenministerium klar sein, dass das Bamf in seiner bisherigen
Struktur und Arbeitsweise diesem Ansturm nicht gewachsen sein konnte.
Was danach folgte, war jedoch nur hektischer Aktionismus. Aus
Kanzleramt und Ministerium bis hinein in die Bamf-Außenstellen. Um
die enorm gewachsenen Anträge wenigstens irgendwie rechtsstaatlich
und in halbwegs überschaubarer Zeit abzuarbeiten, wurde aufs Tempo
gedrückt, wurde teilweise auch nicht so genau hingeschaut. Jeder
erledigte Antrag, im Zweifel zugunsten des Flüchtlings, machte den
Berg unerledigter Fälle etwas kleiner. Der damalige Behördenchef
Frank-Jürgen Weise, von der Bundesagentur für Arbeit als oberster
Krisenmanager herübergeholt und mit dem Zweitjob betraut, folgte dem
Drängen der Politik. Es wurden Abläufe verschlankt, neue Mitarbeiter
eingestellt, viele nur befristet. Aber leider hinkte deren
Qualifizierung den Anforderungen oft nach. Auch die Kontrolle
innerhalb des Bamf ließ dramatisch zu wünschen übrig. Anders sind die
haarsträubenden Fälle in der Bremer Außenstelle und anderswo nicht zu
erklären. Sogar "nachrichtendienstlich relevante Personen", wie es im
Behördendeutsch heißt, erhielten Schutzstatus. Hinzu kam der Wirrwarr
an Kompetenzen zwischen Bundes- und Länderbehörden, die Fälle, wie
den des tunesischen Terroristen vom Berliner Breitscheidplatz Anis
Amri, erst möglich machten, zumindest nicht vorbeugten. Hätte es die
Schlamperei der Behörden nicht gegeben, hätten nicht zwölf Menschen
sterben müssen. Allerdings steckt hinter der heutigen Empörung über
das Bamf-Schlamassel bei FDP, AfD und in vielen Medien auch ein
gehöriges Stück Scheinheiligkeit. Über die Überforderung der
Flüchtlings-Behörde und über das nur unzureichende Gegensteuern der
Politik ist in den vergangenen Monaten immer wieder berichtet worden.
Dass nun viele gewissermaßen hyperventilieren, wenn sie nur Bamf
hören, ist reichlich absurd. Wie auch immer: Der Bamf-Schlamassel
muss nun schnell und gründlich aufgeklärt werden. Einen
Untersuchungsausschuss, der erst in Monaten arbeitsfähig wäre und
dessen Ergebnisse erst in Jahren vorlägen, braucht es dazu nicht.
Merkel und Co. können auch vor dem Bundestags-Innenausschuss zu ihrer
Verantwortung befragt werden. Wichtiger als parteipolitische
Schauveranstaltungen sind rasche und wirkliche Änderungen beim Bamf.
Markus Söder will derweil in Bayern mit Ankerzentren und
Abschiebungen in Eigenregie zeigen, wie es bessergeht. Man kann nur
hoffen, dass der CSU-Wahlkämpfer den Mund nicht so voll nimmt, wie
weiland die Wir-schaffen-das-Kanzlerin Merkel.
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Mittelbayerische Zeitung
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