Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Videobeweis: Auf dem Weg aus dem Abseits von Michael Sperger
Geschrieben am 11-06-2018 |
Regensburg (ots) - Fußball ist ein komplizierter Sport. Da gibt es
nicht nur Schwarz oder Weiß. In einem Spiel gibt es viele
Entscheidungen in der Grauzone - vor allem beim Foulspiel und beim
Handspiel. Dort kann der Videobeweis nicht immer gerecht entscheiden.
Trotzdem war seine Einführung in der Bundesliga die richtige
Entscheidung - auch, wenn im ersten Jahr noch nicht alles nach Plan
lief. Was wurde vor einem Jahr geschimpft und gemeckert! Der
Videoassistent werde den Bundesliga-Fußball endgültig zerstören, hieß
es, an den Fußball-Stammtischen in Deutschland wird Totenstille
herrschen. Passiert ist außer ein paar Problemchen letztlich nichts
und geredet wird über die Schiedsrichter sogar noch mehr als vorher.
Die Bundesliga hat die Einführung des Videoschiris ohne Imageschaden
überstanden. Im Gegenteil: Für einige Topligen in Italien, den USA,
Spanien und Frankreich dient Deutschland als Vorbild für die
Einführung. Das größte Problem des Deutschen Fußball-Bundes war die
Erwartungshaltung. Die Fans erwarteten eine 100 Prozent-Quote. Dass
man die nicht halten kann, hätte klar sein müssen. Der Videoassistent
wurde so ab dem ersten Fehler und später mit der Absetzung des
Projektleiters Hellmut Krug ins Abseits bugsiert und hat Mühe, zurück
ins Spiel zu finden. Im Fußball gibt es klare Regeln - 17 an der
Zahl. Die meisten sind nicht diskutierbar: Auf dem Feld stehen pro
Team zehn Feldspieler und ein Torwart, der Ball ist kugelförmig und
wiegt höchstens 450 Gramm, die Eckfahne ist mindestens 1,50 Meter
groß. Bei Regel zwölf "Fouls und unsportliches Betragen" wird es
schon schwieriger. Dort gibt es Interpretationsspielraum, zum
Beispiel, wann ein Handspiel absichtlich oder ein Körperkontakt
strafbar ist. Hinter dem Monitor in Köln sitzt keine Maschine,
sondern ein Mensch mit subjektiver Wahrnehmung. Dass Video-Assistent
und Hauptschiedsrichter nicht immer einer Meinung sind, ist bei
Entscheidungen im Graubereich unvermeidbar. Hier muss der Videoschiri
seine Grenzen kennen. Mit den beiden Assistenten und dem vierten
Offiziellen gibt es im Extremfall fünf verschiedene Sichtweisen auf
eine Szene. Da hat der Videoschiedsrichter dann nichts zu melden.
Solche Situationen sollte immer noch der Mann mit der Pfeife auf dem
Feld entscheiden. Der Videobeweis wurde eingeführt, um klare
Fehlentscheidungen zu korrigieren, nicht, um Detektiv zu spielen. Was
passiert, wenn er das doch tut, war beim Elfmeter in der
Halbzeitpause Mainz gegen Freiburg im April zu sehen. Beide
Mannschaften sind auf dem Weg in die Kabine, als Schiedsrichter
Winkmann zur Überraschung aller auf Handelfmeter entscheidet. Für
Schlagzeilen sorgten auch die kalibrierten Abseitslinien, die auf den
Bildschirmen in Köln bis zum letzten Spieltag nicht verfügbar waren.
Abseitsentscheidungen wurden vom Videoassistenten mit bloßem Auge
überprüft - bei Millimeter-Entscheidungen unmöglich. Wohl ein
technisches Problem, das man dennoch hätte vorhersehen oder zumindest
innerhalb der ersten Saison beheben müssen. Eine schwache Leistung,
wenn man bedenkt, dass Sky, Sport 1 und Co. dem Zuschauer schon seit
Jahren derartige Linien zuverlässig anbieten. Aber bei allen
Problemchen: Eine einzige Fehlentscheidung, die der Videoschiri
zurechtrücken kann, rechtfertigt seinen Einsatz. In der vergangenen
Saison korrigierte er laut DFB sogar 64 Mal einen Fehler. Nicht
wenige davon waren spielentscheidend. Das Zusammenspiel wird sich
weiter verbessern und die Erfolgsquote weiter steigen. Doch 100
Prozent wird der Videobeweis nie erreichen. Irgendwie auch
beruhigend, wenn am Ende doch wieder ein Mensch entscheidet, und der
macht eben Fehler. Totenstille an den Stammtischen müssen wir nicht
befürchten.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
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