Börsen-Zeitung: Zetsches Lebenswerk wackelt / Kommentar zum Dieselskandal von Isabel Gomez
Geschrieben am 11-06-2018 |
Frankfurt (ots) - Bis vor kurzem war der Weg des Dieter Zetsche in
den nächsten Jahren klar vorgezeichnet. Im Dezember 2019 läuft sein
Vertrag als Vorstandsvorsitzender von Daimler aus. Nach einer
Abkühlungsphase von zwei Jahren würde er Aufsichtsratschef werden.
Nun steht Zetsche aber im Mittelpunkt des Abgasskandals, der im
September 2015 als VW-Betrug begann und inzwischen die gesamte
deutsche Autoindustrie erfasst hat.
In mehreren Mercedes-Modellen ist eine nach Auslegung des
Kraftfahrt-Bundesamtes illegale Abschalteinrichtung der
Diesel-Abgasnachbehandlung verbaut. Der Konzern will sich im Zweifel
rechtlich gegen diese Einschätzung wehren. Tatsächlich handelt es
sich offenbar um kein Programm, das, wie bei VW, einen Prüfstand
erkennt und die Abgasreinigung dann aktiviert. Das macht die Sache
aber nicht besser. Im Gegenteil.
Die Branche hat flächendeckend sogenannte Thermofenster zum Schutz
von Diesel-Motoren eigenwillig ausgelegt. Bei Daimler war das Fenster
besonders groß, so dass die Abgasnachbehandlung Messwerten zufolge
teilweise erst ab 10 Grad Außentemperatur funktionierte. Aus diesem
Grund warnte ein Daimler-Anwalt das Bundesverkehrsministerium bereits
bei Zetsches erstem Besuch in Berlin laut "Spiegel" davor, die
Einrichtungen bei Daimler als illegal anzusehen. Damit würde die
gesamte Autoindustrie gefährdet. In diesem Zusammenhang muss auch die
Aussage von BMW im Frühjahr neu betrachtet werden. Der Hersteller
hatte in zwei Modellen versehentlich "falsch zugeordnete" Software
aufgespielt. Der "Irrtum" dauerte vier Jahre lang an.
Dass Zetsche einen Prozess riskiert, bekommt so eine neue
Relevanz. Wenn unter Zetsche ein Gericht die Auslegung der
gesetzlichen Grundlage über Thermofenster durch Daimler für konform
erklärt, dürfte der Mercedes-Stern auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof
durch sein Konterfei ersetzt werden.
Scheitert er aber, weitet das nicht nur den Diesel-Skandal in
bisher unbekannte Dimensionen aus. Zetsches Lebenswerk, das aus der
Rettung Daimlers nach dem Chrysler-Fiasko, der Wiederbelebung einer
verstaubten Marke, der Modernisierung des Modellportfolios und der
Rückkehr an die Absatzspitze im Premium-Segment besteht, ist dann
zerstört. Zetsche hat sich mit der Aussage, bei Mercedes sei keine
Betrugssoftware verbaut, kurz nach Bekanntwerden des VW-Betrugs
derart weit aus dem Fenster gelehnt, dass er in diesem Fall als
Vorstandschef und künftiger Aufsichtsratschef kaum mehr tragbar wäre.
(Börsen-Zeitung, 12.06.2018)
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