BERLINER MORGENPOST: May in der Zwickmühle - Leitartikel von Christian Kerl
Geschrieben am 09-07-2018 |
Berlin (ots) - Die britische Premierministerin hat sich viel Zeit
gelassen, zu viel vermutlich: Seit Monaten drängt die EU darauf,
Theresa May möge doch endlich ein Konzept für den Austritt ihres
Landes aus der EU vorlegen. Jetzt endlich lässt sich May in die
Karten blicken, nur acht Monate vor dem Brexit peilt sie den
Kurswechsel hin zu einem teilweise sehr sanften Ausstieg an - und
schon gerät die britische Regierungschefin in schwerste Turbulenzen.
Der Rücktritt ihres Außenministers Boris Johnson ist ein
gefährlicher Schlag für sie, weit härter noch als die unmittelbar
vorangegangene Demission von Brexit-Minister David Davis. Am Ende
dieser Misstrauens-Demonstrationen könnte ein Sturz der
Premierministerin stehen oder ein Kollaps der gesamten Regierung.
May hatte freilich keine andere Wahl. Die Uneinigkeit im eigenen
konservativen Lager hat die Verhandlungen seit Monaten gelähmt. Für
einen harten Brexit ist es schon zu spät, die Vorbereitungen darauf
hätten längst beginnen müssen; jetzt würde die britische Wirtschaft
in ein Desaster stürzen.
Was ihr vorschwebt, ist eine Mixtur aus weichem und hartem
Austritt, die Flucht in einen halben Binnenmarkt. May probiert in
ihrer Not jenes Rosinenpicken, dem die EU bislang standhaft eine
Absage erteilt hat. Die Brüsseler Brexit-Verhandler sind im Dilemma:
Die EU kann und will Großbritannien nicht Privilegien einräumen, die
sie anderen Europäern verweigert.
Premierministerin May weiß das, aber sie pokert jetzt hoch. Die
Kraft, den Briten reinen Wein einzuschenken, hat sie aber längst
nicht mehr. Dabei ist offenkundig, was sie ihren Bürgern zu sagen
hätte: Dieser Brexit ist ein großer, tragischer Irrtum.
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