BERLINER MORGENPOST: Zeit heilt keine Wunden - Leitartikel von Christian Unger zum NSU-Prozess
Geschrieben am 11-07-2018 |
Berlin (ots) - Fünf Jahre lang lief der Prozess gegen den NSU. Die
Familien der Opfer schauen nach München: Schafft das Urteil
Gerechtigkeit? Kann es Vertrauen in diesen Staat wiederherstellen?
Oder heilt nur die Zeit die Wunden?
Beate Zschäpe, die jahrelang mit den Rechtsterroristen Uwe Mundlos
und Uwe Böhnhardt im Untergrund lebte, erhielt die Höchststrafe:
lebenslang, mit besonderer Schwere der Schuld. Das Urteil ist scharf,
denn einen Mord konnte die Staatsanwaltschaft ihr nicht nachweisen.
Beweise dafür, dass Zschäpe an einem der Tatorte war, gibt es nicht.
Das Urteil ist dennoch gerecht. Sie war Mittäterin.
Und die Aufgabe für das Gericht war nie leicht. Im Gegenteil:
Unter dem Versagen der Sicherheitsbehörden bei den Mordermittlungen
leidet auch die Justiz. Akten zum Fall wurden vom Verfassungsschutz
geschreddert, wichtige Zeugenaussagen wurden nicht richtig
ausgewertet, Polizisten ermittelten vor allem in eine Richtung: gegen
die Familienangehörigen. Mögliche Helfer und Mittäter konnten auch
wegen des Versagens der Sicherheitsbehörden nicht zur Rechenschaft
gezogen werden.
Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, den Verfassungsschutz
abzuurteilen. Ein Richter soll die individuelle Schuld eines Menschen
klären - nicht die Fehler eines Systems. Doch genau deshalb darf nach
dem Urteil gegen Zschäpe nicht Schluss sein.
Deutschland erlebt 18 Jahre nach dem ersten NSU-Mord, wie Hass
gegen Fremde unter Deutschen wächst. Wie Ausländer und Flüchtlinge
Ziel von rechter Gewalt werden. Die Hinterbliebenen der Morde sagen:
Wir haben wieder Angst. Zeit heilt keine Wunden.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de
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