Börsen-Zeitung: Rekord trotz Handelskrieg / Kommentar von Dieter Kuckelkorn zu den Wirkungen des Handelskriegs auf die Märkte
Geschrieben am 13-07-2018 |
Frankfurt (ots) - Der gegenwärtige Handelskrieg, so sollte man
denken, kennt nur Verlierer. In der Tat haben die internationalen
Aktienmärkte zuletzt spürbar an Boden verloren. Der Dax
beispielsweise notiert derzeit rund 8 % unter seinem
Höchststand. Es gibt allerdings auch markante Ausnahmen: So haben
Nasdaq 100 sowie Nasdaq Composite am Donnerstag Allzeithochs
markiert. Der S & P  500 steht zwar unter
seinem Rekordniveau von Ende Januar - aber nur um weniger als
3 %. Seit Anfang des Jahres hat er knapp 5 %
hinzugewonnen, während der Dax rund 3 % und der Hang Seng China
Enterprises Index (H-Share-Index) mehr als 8 % eingebüßt haben.
Wenn man die These außer Acht lässt, dass es sich hierbei um
irrational bedingte Kursentwicklungen handelt, stellt sich die
Frage, ob die Aktienmärkte möglicherweise die Tatsache widerspiegeln,
dass es in einem Handelskrieg und der Ära eines stark zunehmenden
Protektionismus nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner gibt.
Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass das Urteil der Ökonomen
hinsichtlich des Nutzens oder Schadens von Protektionismus
keinesfalls eindeutig ist. Ein gutes Beispiel dafür ist John Maynard
Keynes. Der berühmte britische Ökonom trat 1923 noch mit flammenden
Worten für den internationalen Freihandel ein, den er nicht nur als
eine "Doktrin ökonomischer Vorteile", sondern auch als ein "Prinzip
der internationalen Moral" sah. In seinem 1936 veröffentlichten
Hauptwerk, der General Theory, propagierte er hingegen britische
Einfuhrzölle als eine gangbare Alternative zur Absenkung der
Reallöhne mit dem Ziel der Steigerung der einheimischen
Industrieproduktion. Vor einer Kommission des britischen Parlaments
bekannte er zwar, dass er Angst habe vor den Folgen einer langfristig
protektionistischen Politik. "Wir können es uns aber nicht immer
leisten, die langfristige Position einzunehmen", mahnte er damals.
Hintergrund dieses überraschenden Wandels ist die Tatsache, dass die
britische Industrie in den dreißiger Jahren gegenüber Konkurrenten
aus den USA und Deutschland deutlich an Boden verloren hatte.
Geht man noch weiter in die Vergangenheit zurück und studiert die
Ansichten der klassischen Ökonomen, so hat zwar David Ricardo mit
seinem berühmten Beispiel britischer und portugiesischer Hersteller
von Wein und Textilien nachzuweisen versucht, dass Freihandel allen
Beteiligten Vorteile bringt. Adam Smith hingegen vertrat die Meinung,
dass im Fall von bilateralem Freihandel zwar beide Seiten
profitieren, der wirtschaftlich stärkere Partner aber deutlich
überproportional. Übertragen auf die gegenwärtige Realität stellt
sich daher die Frage, ob die USA mit ihrem Kurswechsel hin zu einem
protektionistischen Handelsregime durchaus rational handeln könnten.
So hat außerhalb des Bereichs der börsennotierten Unternehmen die
Profitabilität gerade in der amerikanischen Industrie nachgelassen.
Was die globale technologische Führung betrifft, so lässt sich
beobachten, dass China stark aufholt. Insofern verwundert es nicht,
dass es in den amerikanisch-chinesischen Handelsgesprächen eine
zentrale Position der US-Seite ist, dass Peking unbedingt sein
Programm der Förderung der einheimischen Technologiebranche beenden
soll. In einem ausufernden Handelskrieg könnte es im Extremfall zwar
dazu kommen, dass China nicht mehr als verlängerte Werkbank
amerikanischer Konzerne zur Verfügung steht. Den großen
US-Unternehmen tut es angesichts der Perspektiven stärkerer
Automatisierung und der in den USA seit vielen Jahren sinkenden
Reallöhne aber nicht mehr weh, die Produktion in die USA
zurückzuverlegen. Die USA könnten also durchaus von einer Ära des
Protektionismus profitieren, während China der Hauptverlierer sein
dürfte mit seinem aktuell noch hohen Exportanteil und einer
Technologiebranche, die sich erst jetzt anschickt, die Weltmärkte zu
erobern. Es lässt sich argumentieren, dass die USA derzeit noch das
Potenzial haben, den Aufstieg Chinas zu behindern und zu verlangsamen
- in einigen Jahren gilt das möglicherweise aber nicht mehr.
Die deutsche Industrie wäre zwar ebenfalls Leidtragende des
US-Kurswechsels. Die Folgen würden aber dadurch abgemildert, dass mit
der EU und China bedeutende Märkte existieren, in denen es keine oder
tendenziell sinkende Zollschranken gibt. Es drängt sich somit der
Verdacht auf, dass die Trump-Administration durchaus rational agiert,
was die Aktienmärkte auch widerspiegeln.
(Börsen-Zeitung, 14.07.2018)
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