Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Asyl/Sami A.: Angriff auf den Rechtsstaat von Katharina Kellner
Geschrieben am 26-07-2018 |
Regensburg (ots) - Im Fall Sami A. hat offenbar eine Behörde
sehenden Auges Recht und Gesetz gebrochen. Der angebliche frühere
Leibwächter Osama Bin Ladens wurde nach Tunesien abgeschoben, obwohl
ein Gericht dies untersagt hatte. Falls die Behörde vom
Gerichtsbeschluss wusste, hat sie gegen einen fundamentalen
Verfassungsgrundsatz verstoßen: den der Gewaltenteilung. Wenn die
Regierung und nachgeordnete Behörden anfangen, die Justiz zu
ignorieren, untergraben sie den Rechtsstaat, der für alle Bürger
Grundrechte, Gleichheit vor dem Recht und ordentliche Verfahren
gewährleistet. Der emotional diskutierte Fall des Sami A. ist aber
nicht der einzige, in dem Politiker derzeit geltendes Recht
attackieren. In der Debatte um mehr Härte gegen "Gefährder" und
Asylbewerber stellen manche den Rechtsstaat als eine Art Hindernis
dar. Sie tun so, als versperre er den Weg für politische Lösungen,
die unter dem Etikett "gesunder Menschenverstand" angepriesen werden.
Das sollte uns wirklich beunruhigen. Wir können uns glücklich
schätzen, dass Gerichte in Deutschland nicht nach wechselnden
Gefühlslagen und Stimmungen urteilen. Sondern sich an einer
Gesetzgebung orientieren, die niemanden bevorzugt oder benachteiligt.
Sicher, das Grundgesetz lässt einen manchmal schwer schlucken: Wenn
Rechtspopulisten ihr Recht auf Meinungsfreiheit prominent in der
Stadthalle oder auf öffentlichen Plätzen ausleben dürfen. Oder eben,
wenn das deutsche Grundgesetz die Rechte eines Sami A. verteidigt -
womöglich ist er einer von denen, die die Verfassung missachten und
bekämpfen. Doch solange ihm keine Straftat nachzuweisen ist, gilt die
Unschuldsvermutung. Dass diese für jeden gilt, lässt einen in diesem
Land ruhig schlafen. Das Grundgesetz verteidigt unser aller Recht, es
schaut nicht auf Religion, Herkunft oder Weltanschauung. Es schützt
uns vor Willkür: Jeder hat das Recht, sich gerichtlich gegen eine
staatliche Entscheidung zu wehren. Nun muss man fragen: Nahm die
Asylbehörde, die Seehofers Innenministerium untersteht, einen
Rechtsbruch in Kauf, um Wählern Härte demonstrieren zu können? Es
mutet seltsam an, wenn CDU-Ministerpräsident Armin Laschet aus NRW
verlauten lässt, man könne "im Ergebnis froh sein, dass der Gefährder
nicht mehr in Deutschland ist". Darum kann es nicht gehen. Bislang
ist der Begriff "Gefährder" gar nicht allgemeingültig definiert. Im
Fall Sami A. ist das jemand, der noch keine Straftat begangen hat,
dem die Polizei das aber zukünftig zutraut. Deshalb vorbeugend am
Grundgesetz zu kratzen, richtet Schaden an: Der Vorwurf "Gefährder"
ist unscharf und kann, wenn er allein in den Händen der Regierung
bleibt und nicht von Gerichten überprüft wird, zu einem politischen
Instrument gegen Widerspruch werden. Ob die Forderung,
"christlich-abendländische" Geflüchtete zu bevorzugen, die
Kontingentierung des Familiennachzugs oder die geplante Einrichtung
von "Ankerzentren": In Zeiten der angstgetriebenen Politik haben
Grundrechte wenig Konjunktur. Das Aushöhlen des Rechtsstaates spielt
den Angstmachern in die Hände. So gewinnt eine Regierung keine Wähler
zurück, verspielt aber das Vertrauen der Bürger in die Institutionen.
Wer glaubt, dass diese Art restriktiver Politik nur "Gefährder" oder
Asylbewerber treffen kann, niemals aber deutsche Staatsbürger, sollte
nicht zu sicher sein. Wie schnell rechtsstaatliche Institutionen
beschädigt werden, ist derzeit an den EU-Staaten Ungarn und Polen zu
beobachten. Dort ist das politische Klima nicht nur für Minderheiten
oder Geflüchtete feindlich, sondern zunehmend auch für politische
Gegner. In Deutschland gibt das von der CSU durchgepeitschte
bayerische Polizeiaufgabengesetz einen Vorgeschmack darauf, wohin die
Politik der Angst uns führt. Wenn wir die freiheitliche,
demokratische, pluralistische und gerechte Gesellschaftsordnung des
Grundgesetzes nicht gegen Anfechtungen verteidigen, bekommen wir die
Auswirkungen irgendwann selbst zu spüren.
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