Heilbronner Stimme: Gladbeck-Einsatzleiter Granitzka ist berührt vom Tod der Geisel Silke Bischoff. Über das Drama sagt er: "Manchmal träume ich davon." Die Polizei habe ihre Lehren gezogen.
Geschrieben am 16-08-2018 |
Heilbronn (ots) - Winrich Granitzka (75) koordinierte vor 30
Jahren den Einsatz der Kölner Polizei während des Gladbecker
Geiseldramas. Im Interview mit der "Heilbronner Stimme" (Donnerstag)
erinnert sich Granitzka auch an den Zugriff auf der Autobahn A3 in
der Nähe von Bad Honnef, bei dem die Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner
und Dieter Degowski festgenommen wurden, und die Geisel Silke
Bischoff (18) durch eine Kugel aus der Waffe Rösners starb. " Ihr Tod
bewegt und berührt mich bis heute sehr", sagt Granitzka.
Auf die Frage, ob ihn die Extremsituationen aus seiner Laufbahn
belasten, antwortet Granitzka: "Manchmal träume ich von solchen
Ereignissen, auch von Gladbeck. Und ich spreche darüber mit einem
Psychologen. Es bleiben Narben auf der Seele, die nicht immer wehtun,
aber manchmal doch noch schmerzen. Auch Gladbeck ist eine solche
Narbe."
Rösner und Degowski hätten ihr Recht auf Freiheit verwirkt.
Granitzka: "Degowski hat an der Raststätte Grundbergsee bei Bremen
den 15-jährigen Emanuele de Giorgi kaltblütig erschossen. Weder
Rösner noch Degowski sind in einer Art und Weise, wie wir sie aus
unserer Kindheit und Jugend kennen, sozialisiert worden. Wer aber nie
sozialisiert worden ist, wie soll er dann resozialisiert werden? Ich
bin kein Richter und akzeptiere unsere Gesetzeslage, aber ich finde
die Freilassung von Degowski nicht richtig. Ich bin der Meinung:
Diese Leute dürfen und sollen nicht in die Gesellschaft zurückkehren
dürfen, auch aus generalpräventiven Gründen. Als Botschaft für alle:
Wenn du so etwas machst, hast du dein Recht auf Freiheit verwirkt."
Auf die Frage, welche Momente ihm besonders in Erinnerung
geblieben seien, sagte er: "Schon der erste Fehler, der in Gladbeck
passierte. Nach dem Überfall auf die Bank wurde die Polizei
alarmiert, und die Beamten verstießen leider gegen eine damals schon
zentrale Vorschrift, nämlich, dass sie mit dem Streifenwagen direkt
vor die Türe fuhren. Das setzt Täter unter Druck, führt erst zu
Geiselnahmen. Dann erinnere ich mich natürlich an den zweiten großen
Fehler: Man hat die Täter in Bewegung kommen lassen, das hätte nicht
passieren dürfen. Diese Lehre aus Gladbeck habe ich gezogen und sie
hat meine weiteren Entscheidungen bestimmt."
Granitzka sagte weiter: "In der Rückschau ist es immer noch
unvorstellbar, dass wir es in den ganzen Tagen und auch in Köln
zugelassen haben, dass hier vor den Augen der Öffentlichkeit ein
reales Kriminalstück aufgeführt wird, das letztlich drei Todesopfer
gefordert hat - der junge Italiener Emanuele de Giorgi, ein Polizist
bei der Verfolgungsjagd und schließlich Silke Bischoff ließen ihr
Leben."
Er bedauert, dass in Bremen nicht zugegriffen worden sei. "In
Bremen gab es die Chance des Zugriffes. Degowski war kurz mit den
Geiseln allein, stieg sogar irgendwann aus dem Wagen aus. Hier hätte
man eingreifen können, aber nichts passierte. Einmal waren die Täter
sogar eingenickt. In Köln konnten wir nicht zugreifen, die Situation
in der Innenstadt war viel zu gefährlich für alle. Vor allem auch für
die vielen Journalisten, einige führten sogar Interviews. Rösner und
Degowski durften sich vor einem Millionenpublikum mit ihren Waffen
produzieren und ihre Macht ausleben. Dass der Journalist Udo Röbel
dann in den Wagen stieg, um den Geiselnehmern den Weg zur Autobahn zu
zeigen, war unakzeptabel, weil er zum handelnden Akteur wurde. Bei
der Fahrt aus der Stadt fuhren einige Journalisten im Tross
hinterher, daneben unsere SEK-Kommandos in zivilen Fahrzeugen. Es war
bizarr. Aber die Medien haben daraus gelernt, auch der Pressekodex
wurde entsprechend geändert."
Auch die Polizei habe aus dem Fall Gladbeck und den Fehlern
gelernt. Granitzka: "Wir haben das Drama sehr intensiv aufgearbeitet
und viele richtige Schlussfolgerungen gezogen. Einer der wichtigsten
Schlüsse war, dass man nicht eine kleine Polizeidienststelle vor Ort
mit einer so komplexen Einsatzlage allein lassen sollte. Nicht, weil
die Kollegen es nicht können, sondern weil die Verantwortung zu groß
ist. Außerdem braucht es Experten aus vielen Bereichen, damit sind
wir bei der zweiten Konsequenz. Es wurden sogenannte ständige Stäbe
eingerichtet, denen speziell geschulte Beamte angehören. Außerdem
wurden Spezialeinheiten gebildet, zunächst in NRW, dann in der ganzen
Republik. Zudem ist es heute Standard, dass sofort Rettungswagen und
Sanitäter angefordert werden. Es ist eine völlig neue Organisation
für solche Großlagen entstanden. In NRW gibt es heute beispielsweise
fünf Sonderkriminalhauptstellen und ständige Stäbe bei der Polizei."
Zu den weiteren Konsequenzen aus dem Drama sagte er: "Nach
Gladbeck haben wir uns auch mit Polizeibehörden in den USA und
anderen Ländern ausgetauscht. Ausgewählte Polizeiführer werden heute
als Einsatzleiter für besondere Lagen zertifiziert. Sie durchlaufen
spezielle Kurse, werden von Medizinern und Psychologen geschult. Auch
die Befehlsstellen sind heute viel moderner, es ist sogar festgelegt,
wer im Krisenfall auf welchem Platz sitzt. Jeder kennt die
Telefonnummer des anderen. Der Einsatz während des Überfalls auf die
Aachener Landeszentralbank mit Geiselnahme wurde 1999 zentral von
Köln aus geführt. Die Hauptsache ist, dass sie schnell Fachleute aus
verschiedenen Gebieten an einem Ort versammeln und sie gemeinsam
Strategien erarbeiten. Auch rechtlich sind die Beamten von heute viel
besser geschult. Wir waren doch in einer Grauzone unterwegs. Es gab
nicht den definierten Rettungsschuss, Notwehr und Nothilfe waren die
Grundlage des Handelns."
In dem Interview mit der Zeitung äußert er sich detailliert über
den Zugriff auf der A3.
Pressekontakt:
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Chefredaktion
Telefon: +49 (07131) 615-794
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