BERLINER MORGENPOST: Der Hass war vorher da / Leitartikel von Miguel Sanches zu Chemnitz
Geschrieben am 27-08-2018 |
Berlin (ots) - Kurzform: Die ersten Ausschreitungen gegen
Ausländer gab es in Sachsen nach der Wende, vor über 25 Jahren.
Genauso lange hat die Landesregierung sie übersehen, relativiert,
verharmlost. Versagt hat allen voran die CDU, die bisher alle
Ministerpräsidenten gestellt hat. Natürlich will sich die Partei von
Extremisten abgrenzen, sich nicht anbiedern, zugleich aber klare
Kante zeigen, AfD-Wähler gewinnen, bürgernah sein. Bis heute hat die
Regierung in Dresden keine Strategie für den Umgang mit den Rechten.
Womöglich kommt es darauf bald nicht mehr an: Schon bei der
Bundestagswahl war die AfD auf Augenhöhe, bei den Kommunal- und
Landtagswahlen 2019 könnte sie die CDU hinter sich lassen. Ein
AfD-Bundestagsabgeordneter twitterte zu Chemnitz, es sei
"Bürgerpflicht, die todbringende Messermigration zu stoppen". Messer
und Migranten in einem Wort - im Ergebnis - gleichzusetzen, ist
perfide.
Der vollständige Leitartikel: Sie wollten zeigen, wer in Chemnitz
das Sagen hat. Am Wochenende ist das gelungen. Nicht der Staat hatte
das Sagen, sondern der Mob. Es wird nicht der letzte Anfall von
Selbstjustiz bleiben. Chemnitz ist überall, auf jeden Fall in
Sachsen. Es war beileibe nicht der erste Vorfall dieser Art im
Freistaat. Sachsen war lange Zeit das Basisgebiet der NPD, ist bis
heute die Heimat der Pegida und Hochburg der Rechtspopulisten. Hier
ist die Fremdenfeindlichkeit stärker als woanders in Deutschland. Die
entlädt sich wie nach der Messerstecherei in Chemnitz zwar
anlassbezogen und "plötzlich", aber nicht zufällig. Der Hass war
vorher da. Er ist die Reibefläche, an der sich das Streichholz
entzündet. In Chemnitz gab es eine Messerstecherei: ein Toter,
mehrere Verletzte. Sowas kommt vor. Messerstechereien sind kein
Spezialdelikt von Flüchtlingen. Ein Iraker und ein Syrer werden als
Täter verdächtigt. Die Umstände zu überprüfen, die Täter zu
überführen, ist Aufgabe von Polizei und Justiz. Die Stimmung in
Chemnitz war am Wochenende offenkundig so, dass ein Teil der Bürger
offen oder insgeheim die Jagdszenen auf der Straße billigte - und
damit der Versuch der Selbstjustiz. Schon seit Jahren beobachtet
man, wie rechtes Gedankengut im Freistaat zunehmend Teil der
Alltagskultur wird. Chemnitz hat 240.000 Einwohner. Davon ist eine
Minderheit randalierend auf die Straße gegangen. Aber der
gesellschaftliche Rückhalt war immerhin so stark, dass die Pöbler
binnen kürzester Zeit Hunderte gewaltbereite Chaoten mobilisieren
konnten; dynamischer agierten als die Polizei, die zu spät kam, dem
Mob unterlegen war, überrannt wurde. Die Polizei war unvorbereitet.
Vorwürfe an ihre Adresse helfen indes nicht weiter. Die Polizei kann
nicht überall präsent sein. Es war Wochenende, Bundesligaspieltag, da
ist ein Großteil der Bahn- und Bereitschaftspolizei gebunden,
insbesondere in den unteren Ligen, wo regelmäßig Gewaltausbrüche
drohen, gerade im Osten. Bezeichnend ist, dass der Aufruf zum
Aufmarsch in Chemnitz von Ultras des örtlichen Vereins ausging.
Extremismus ist eine politische Herausforderung. Die ersten
Ausschreitungen gegen Ausländer gab es in Sachsen nach der Wende, vor
über 25 Jahren. Genauso lange hat die Landesregierung sie übersehen,
relativiert, verharmlost. Versagt hat allen voran die CDU, die bisher
alle Ministerpräsidenten gestellt hat. Natürlich will sich die Partei
von Extremisten abgrenzen, sich nicht anbiedern, zugleich aber klare
Kante zeigen, AfD-Wähler gewinnen, bürgernah sein. Und wer sind ihre
Bürger? Schon der "Sachsen-Monitor" hat 2016 gezeigt, wie gefährdet
die Demokratie im Freistaat ist und dass dort Fremdenfeindlichkeit,
Islamophobie, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus stärker als
woanders in Deutschland verbreitet sind. "Die Bundesrepublik ist
durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet" -
sagten damals 18 Prozent der Deutschen und 58 Prozent der Sachsen. 16
Prozent forderten bundesweit: "Muslimen sollte die Zuwanderung nach
Deutschland untersagt werden." In Sachsen waren es 39 Prozent. Bis
heute hat die Regierung in Dresden keine Strategie für den Umgang mit
den Rechten. Womöglich kommt es darauf bald nicht mehr an: Schon bei
der Bundestagswahl war die AfD auf Augenhöhe, bei den Kommunal- und
Landtagswahlen 2019 könnte sie die CDU hinter sich lassen. Ein
AfD-Bundestagsabgeordneter twitterte zu Chemnitz, es sei
"Bürgerpflicht, die todbringende Messermigration zu stoppen". Messer
und Migranten in einem Wort - im Ergebnis - gleichzusetzen, ist
perfide.
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