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Neue Luftqualitätsmessungen der Deutschen Umwelthilfe: 116 Städte und Gemeinden überschreiten NO2-Grenzwert

Geschrieben am 28-08-2018

Berlin (ots) - Deutsche Umwelthilfe veröffentlicht Ergebnisse
ihrer zweiten bundesweiten Citizen Science Messaktion "Decke auf, wo
Atmen krank macht" - Konzentration des Dieselabgasgifts
Stickstoffdioxid (NO2) in Atemhöhe von Kindern besonders hoch -
Messaktionen von Umweltverbänden und Rundfunkanstalten zeigen
NO2-Grenzwertüberschreitungen in 41 bisher nicht amtlich untersuchten
Städten und Gemeinden - Aktuelle DUH-Messaktion deckt
NO2-Grenzwertüberschreitungen in Starnberg, Fürth, Trostberg,
Garbsen, Laufen, Obersulm, Erlangen und Frechen auf

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat an 461 Messstellen in 233
Städten und Kommunen zum zweiten Mal die Belastung der Atemluft mit
dem Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2) gemessen. Mittels
Passivsammlern wurde vom 1. Juni 2018 bis zum 1. Juli 2018 mit
Unterstützung zahlreicher Bürger die durchschnittliche Konzentration
von NO2 in der Umgebungsluft ermittelt. Der Grenzwert für NO2 liegt
bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) im Jahresmittel. An 53
verkehrsnahen Messstellen wurden Werte von 40 µg/m3 oder mehr
gemessen. Acht dieser Städte und Gemeinden gelten offiziell als
unbelastet - da dort keine amtlichen verkehrsnahen offiziellen
Messstationen existieren. Diese Städte und Gemeinden sind somit vom
"Sofortprogramm Saubere Luft" der Bundesregierung ausgeschlossen.

Bei den Sommermessungen der DUH wurden die höchsten NO2-Werte an
Straßen in Bonn (77,2 µg/m3), Stuttgart (67,1 µg/m3), Kiel (59,7
µg/m3), Düsseldorf (59,2 µg/m3) und Hamburg (62,3 µg/m3) gemessen. In
diesen Städten klagt die DUH bereits auf Diesel-Fahrverbote und die
Durchsetzung der sauberen Luft, in Hamburg klagt der BUND.

Alarmierend hohe NO2-Werte oberhalb des gesetzlichen Grenzwertes
wurden auch in Städten ermittelt, in denen bislang keine amtlichen
und somit für die Bundesregierung relevanten Messungen durchgeführt
werden. Dazu zählen: Starnberg (54,6 µg/m3), Fürth (50,7 µg/m3)
Trostberg (50,3 µg/m3), Garbsen (48,0 µg/m3), Laufen (42,4 µg/m3),
Obersulm (42,0 µg/m3), Erlangen (40,6 µg/m3) und Frechen (40,4
µg/m3). Werte knapp unterhalb des Grenzwertes, aber eindeutig
gesundheitlich problematisch, wurden gemessen in Wolfratshausen (39,7
µg/m3), Füssen (39,4 µg/m3), und Kirchseeon (37,5 µg/m3). All diese
Städte ohne offizielle Messstationen sind von den Fördermitteln der
Bundesregierung im Rahmen des "Sofortprogramms Saubere Luft"
ausgeschlossen.

Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: "Wir haben in
Deutschland ein flächendeckendes Problem mit dem Dieselabgasgift
Stickstoffdioxid in unserer Atemluft. Unsere Citizen Science
Messungen haben die Anzahl der Städte mit Grenzwertüberschreitungen
auf 116 anwachsen lassen. Doch die Bundesregierung will nur den 65
Städten helfen, die eine amtliche Grenzwertüberschreitung ausweisen.
Es müssen schnellstmöglich Maßnahmen für die 'Saubere Luft' an den
belastetsten Orten ergriffen werden. Die Bundesregierung muss ihre
Hilfe auf alle Städte und Gemeinden ausdehnen, die unter
gesundheitlich bedenklichen NO2-Werten leiden, und nicht nur die
wenigen Dutzend Städte mit amtlichen Messpunkten finanziell
unterstützen."

Nicht nur alte und gesundheitlich vorbelastete Menschen, sondern
auch Kinder sind durch die giftigen Abgase besonders gefährdet. Daher
hat die DUH bei der zweiten Messreihe an ausgewählten Orten
untersucht, wie die Konzentration des Schadstoffes auf Kinderhöhe von
einem Meter ist und hat dies mit Messungen an gleicher Stelle in Höhe
von zwei Metern verglichen.

Vor besonders sensiblen Standorten wie Kindertagesstätten wurden
zum Teil erschreckend hohe Werte ermittelt: So ergaben Messungen auf
einem Meter Höhe an einer Vorschule in der Berliner Torstraße eine
Konzentration von 57,4 µg/m3, an einer Kindertagesstätte am Berliner
Mehringdamm sogar von 60,9 µg/m3. In der Pragstraße in Stuttgart,
unmittelbar am Tierpark, wurde ein Wert von 67,8 µg/m3 ermittelt.

An zahlreichen Messstellen konnte der geltende Grenzwert in zwei
Metern Höhe zwar eingehalten werden, in einem Meter Höhe wurden
jedoch Werte von 40 µg/m3 und mehr ermittelt. Unmittelbar vor einer
Schule am Kieler Ostring Ecke Stoschstraße wurde ein Wert von 35,5
µg/m3 ermittelt; die Schulkinder waren jedoch in einem Meter Höhe
Konzentrationen von 41,4 µg/m3 ausgesetzt. An einem Kindergarten an
der Stammheimer Straße in Stuttgart wurden in zwei Metern Höhe 37,8
µg/m3 gemessen, auf Kinderhöhe aber 40,8 µg/m3. Auch auf der
Hamburger Holstenstraße - einer Ausweichstrecke der Straßenabschnitte
mit Diesel-Durchfahrtverbot - konnte der Grenzwert in zwei Metern
Höhe zwar eingehalten werden, in einem Meter Höhe wurde der Grenzwert
jedoch mit 48,5 µg/m3 deutlich überschritten.

Aktuelle Studien verschiedener Behörden und von der Industrie
unabhängiger Institute zeigen, dass bedenkliche Gesundheitsschäden
bereits ab einer Belastung von 20 µg NO2/m3 auftreten. Besonders für
ältere Menschen, Schwangere und vor allem für Kinder ist diese
Belastung gesundheitsgefährdend.

"In Ruhe atmen Erwachsene zwischen 15 und 20 Mal pro Minute.
Kinder - je nachdem wie alt sie sind, je kleiner, desto höher ist die
Atemfrequenz - atmen in Ruhe bis zu 40 Mal. Gleichzeitig sitzen
Kinder natürlich deutlich seltener so still wie Erwachsene.
Stattdessen sind sie aktiv und laufen viel, sodass Kinder auch im
Alltag eine höhere Atemarbeit aufweisen. Eine Schadstoffbelastung in
der Luft, zum Beispiel durch Stickstoffdioxid, wirkt dementsprechend
bei Kindern intensiver als bei Erwachsenen", erklärt Thomas
Lob-Corzilius, Lungenfacharzt für Kinder und Jugendliche.
"Gleichzeitig sind Kindernasen viel näher an einem Autoauspuff und
damit an der Emissionsquelle. Der Verdacht liegt nahe, dass dort
höhere Schadstoffbelastungen existieren. Generell können die
Auswirkungen, die entstehen, wenn Kinder eine mit Stickstoffdioxid
angereicherte Luft regelmäßig einatmen, auch dauerhaft sein. Eine
aktuelle Meta-Analyse belegt: Das Asthmarisiko für Kinder steigt um
48 Prozent, schon bei Werten über 30 µg/m3, wobei der europäische
Grenzwert bei 40 µg/m3 liegt." Lob-Corzilius fordert deshalb weitere
Messungen auf 'Kindernasen-Höhe'.

Jürgen Resch: "Wir fordern nicht nur dringend die Einhaltung des
seit 2010 verbindlich geltenden Grenzwertes von 40 µg/m3, sondern
auch eine schnellstmögliche Absenkung auf 20 µg/m3. Selbst die
Schweiz hat mit 30 µg/m3 bereits seit 1986 einen strengeren
Luftqualitätswert als die EU."

Zusammen mit dem NABU hat die DUH auch die NO2-Belastung an Häfen
und Schiffsanlegern gemessen. An dem beliebten Hamburger Ausflugsziel
St. Pauli-Landungsbrücken wurde unmittelbar am Schiffsanleger ein
Stickstoffdioxid-Gehalt von 98,5 µg/m3 ermittelt. Weiter oben, auf
der Promenade, lag der Stickstoffdioxid-Gehalt der Luft immer noch
bei 54,5 µg/m3. Die Vielzahl der hier anlegenden Hafenfähren und
Barkassen, aber auch vorbeifahrende Kreuzfahrtschiffe und
Frachtschiffe emittieren unglaubliche Mengen an giftigem
Stickstoffdioxid.

Dass die Messmethode nachvollziehbare Werte ermittelt, zeigt der
Vergleich mit den Daten aus offiziellen Monitoring-Stationen aus dem
gleichen Zeitraum. Die DUH hatte neben allen sechs offiziellen,
verkehrsnahen Messcontainern in Berlin sowie an einem Messcontainer
in Kiel Passivsammler installiert. Die Abweichungen zu den
offiziellen, stundengenauen Werten liegen im Vergleichszeitraum im
Schnitt bei lediglich 5,2 Prozent.

Die Ergebnisse dieser Citizen Science Untersuchungen, eine
Übersicht über alle öffentlich zugänglichen amtlichen Messungen sowie
Messungen des Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Rundfunkanstalten
rbb, SWR und WDR sowie des Vereins Green City aus München können auf
einer interaktiven Karte auf https://www.duh.de/abgasalarm eingesehen
werden. Neben den 75 Städten, bei denen offizielle Messungen
Grenzwertüberschreitungen belegen, zeigt diese Zusammenstellung
Messwerte oberhalb der 40 µg/m3 in 41 weiteren Städten auf. Insgesamt
ergibt das 116 Städte. Die Luftqualität dieser Städte wird nicht
durch die zuständigen Behörden überwacht und konnte nur durch
Messungen engagierter Anwohner und die wichtige Arbeit von Vereinen
und Rundfunkanstalten aufgedeckt werden.

Hintergrund:

Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in
Leipzig vom 27. Februar 2018 zur Rechtmäßigkeit von
Diesel-Fahrverboten wurden in Hamburg nach Klage des BUND
streckenbezogene Fahrverbote für Diesel umgesetzt, ebenso sind erste
Diesel-Fahrverbote in Stuttgart in Planung. In den laufenden
Gerichtsverfahren der DUH in derzeit insgesamt 28 Städten mit
deutlichen Grenzwertüberschreitungen rechnet der Umwelt- und
Verbraucherschutzverband mit weiteren gerichtlichen Entscheidungen,
die zu Fahrverboten für Diesel schlechter als Abgasstufe Euro 5 noch
in diesem Jahr getroffen werden. Zuletzt hatte die EU-Kommission im
Laufe des Vertragsverletzungsverfahrens die Bundesregierung vor dem
Europäischen Gerichtshof wegen anhaltender Überschreitung de
NO2-Jahresmittelwertes verklagt.

Von der Bundesregierung fordert die DUH die Ausdehnung des
"Sofortprogramms für Saubere Luft" auf alle Städte und Gemeinden mit
gesundheitlich bedenklichen Werten, d.h. oberhalb von 20 µg/m3. Aus
Sicht der DUH kann es nicht sein, dass die Bundesregierung nur den
Städten und Gemeinden hilft, die eine amtliche verkehrsnahe
Messstation haben. Um die notwendigen Diesel-Fahrverbote auf
möglichst wenige Fahrzeuge zu beschränken, muss die Bundesregierung
sicherstellen, dass schnell eine wirksame Hardware-Nachrüstung aller
Diesel der Abgasnorm Euro 5+6 auf Kosten der jeweiligen Hersteller im
Rahmen eines amtlichen Rückrufs erfolgt.

In ihrem jährlichen Bericht über die Luftqualität in Europa und
die daraus resultierenden Gesundheitsschäden hatte die Europäische
Umweltagentur EEA im Herbst 2017 die gesundheitlichen Folgen der
NO2-Verschmutzung mit jährlich 12.860 vorzeitigen Todesfälle allein
in Deutschland beziffert. Auch das Umweltbundesamt hat mit seiner am
8. März 2018 veröffentlichten Studie zu den Gesundheitsfolgen der
NO2-Belastung unserer Atemluft davor gewarnt, dass schon bei
Konzentrationen deutlich unterhalb des Grenzwertes jährlich über
800.000 Atemwegs-, Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes sowie
6.000 vorzeitige Todesfälle zu verzeichnen sind.

Links:
Interaktive Karte mit allen bislang bekannten Orten
gesundheitsbelastender NO2-Werte in der Atemluft:
https://www.duh.de/abgasalarm

Gesamtliste DUH-NO2-Sommermessungen: http://l.duh.de/p180828

Gesamtliste Städte und Gemeinden mit NO2-Grenzwertüberschreitungen:
http://l.duh.de/p180828

Liste Messungen auf Kinderhöhe: http://l.duh.de/p180828

Liste 116 Städte mit Grenzwertüberschreitung: http://l.duh.de/p180828

Vergleichsmessungen an offiziellen Messstationen:
http://l.duh.de/p180828

Hintergrundpapier DUH-Messungen: http://l.duh.de/p180828



Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
0171 3649170, resch@duh.de

Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung
030 2400 86772, saar@duh.de

Dr. Thomas Lob-Corzilius, Kinder- und Jugendarzt i.R. Allergologie,
Kinderpneumologie, Umweltmedizin
0541-41480, thlob@uminfo.de

DUH-Pressestelle:
Andrea Kuper, Ann-Kathrin Marggraf
030 2400867-20, presse@duh.de
www.duh.de, www.twitter.com/umwelthilfe, www.facebook.com/umwelthilfe

Original-Content von: Deutsche Umwelthilfe e.V., übermittelt durch news aktuell


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