BERLINER MORGENPOST: Ein Fall für Schäuble / Leitartikel von Miguel Sanches zur Millionen-Rücklagen der Bundestagsfraktionen
Geschrieben am 02-09-2018 |
Berlin (ots) - Kurzform: Besser wäre es, die Fraktionen würden
künftig gar keine Rücklagen, sondern nur Rückstellungen bilden, also
Geld nur noch zweckgebunden für klar definierte Aufgaben zurücklegen.
Wenn tatsächlich mal was passiert, was unvorhersehbar war, ließen
sich die finanziellen Folgen mit einem Sonderzuschlag regeln. Vor
allem muss das Controlling so geregelt werden, dass Rückstellungen
nicht zweckentfremdet werden können. Solche Missbrauchsfälle sind
keine Bagatellen. Für die Akzeptanz der Politik ist allein der
Verdacht der Selbstbedienung verheerend. Niemand kann dem Bundestag
eine Regelung der Fraktionsfinanzen abnehmen. Er muss selbst die
Kraft aufbringen, Systemlücken zu erkennen, zu benennen und
anzugehen. Diese Diskussion anzustoßen und anzuführen - eine Übung in
politischer Hygiene -, wäre eine lohnende Aufgabe für den
Bundestagspräsidenten. Herr Schäuble, übernehmen Sie?
Der vollständige Leitartikel: Die Demokratie ist uns lieb und
teuer. Die Frage ist weniger, was sie kostet, sondern was sie uns
wert ist. Viel. Das positive Vorurteil gegenüber dem Parteiensystem
sollte uns nicht blind machen. Die Finanzierung der
Bundestagsfraktionen wirft Fragen auf, die man nicht vom Tisch
wischen darf. Das beginnt bei ihrer letzten Erhöhung, die auch im
Hohen Haus hoch umstritten war und verdächtig üppig ausfiel, immerhin
um 30 Prozent. Dabei haben einige Fraktionen schon erstaunlich viel
(Steuer-)Geld auf der hohen Kante, vor allem die Christdemokraten. Es
ist keine üble Nachrede, wenn der Steuerzahlerbund argwöhnt, dass die
Fraktionen "überfinanziert" seien. Der Verdacht liegt auf der Hand.
Im Vergleich zu jeder Diätenerhöhung, die von Misstrauen begleitet
wird, nimmt kaum jemand Notiz von den Finanzen der Fraktionen. Und
die verfahren nach dem Motto "Geld hat man, darüber redet man nicht".
Mehr Öffentlichkeit aber wäre dringend nötig. Kritikwürdig ist
vieles, angefangen mit der Größenordnung der Zuschüsse von
mittlerweile 115 Millionen Euro im Jahr. Es fehlen nachvollziehbare
Maßstäbe für die Bedarfsermittlung. Diskutabel ist auch, dass sie
unbegrenzt Geld zurücklegen können, nur vage und intransparent
Rechenschaft leisten, selbst gegenüber dem Bundesrechnungshof.
Kontrolle kommt zu kurz. Vor allem gibt es keine Sanktionen, wenn
eine Fraktion Rücklagen zweckentfremdet wie die FDP im Wahljahr 2013.
Sie hat damals keine Vorsorge betrieben, sondern mit dem
"Notgroschen" ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärkt. Es war das
reinste Casino-Gebaren: Die Liberalen setzten Millionen auf diese
eine Wahl. Alles oder nichts. Wären die Liberalen in den Bundestag
eingezogen, wäre es noch einmal gut gegangen. So aber blieb nicht
genug Geld übrig, um die Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter zu
garantieren. Streng genommen ist bis heute ungeklärt, ob eine
Fraktion insolvenzfähig werden darf oder nicht; wer aus welchen
Töpfen für Ansprüche geradesteht. Parteichef Christian Lindner hat
aus der Konkursmasse der FDP politisch viel gemacht. Aber Fakt ist:
Die Schulden blieben bei der Solidargemeinschaft einer Sozialkasse
hängen. Eine Lösung ist nicht so einfach. Schreibt der Bundestag den
Fraktionen vor, jedes Jahr ihre Zuschüsse auszugeben, bricht ein
bekanntes Phänomen aus: das "Dezemberfieber". Mit vorausschauendem
Handeln hat es wenig zu tun. Werden die Fraktionen verpflichtet, das
Geld innerhalb der Legislaturperiode auszugeben, gibt man dem Affen
Zucker. Je näher ein Wahljahr rückt, desto größer ist die Versuchung,
mit teuren Kampagnen indirekt jeweils für die eigene Partei zu
werben. Besser wäre es, die Fraktionen würden künftig gar keine
Rücklagen, sondern nur Rückstellungen bilden, also Geld nur noch
zweckgebunden für klar definierte Aufgaben zurücklegen. Wenn
tatsächlich mal was passiert, was unvorhersehbar war, ließen sich die
finanziellen Folgen mit einem Sonderzuschlag regeln. Vor allem muss
das Controlling so geregelt werden, dass Rückstellungen nicht
zweckentfremdet werden können. Solche Missbrauchsfälle sind keine
Bagatellen. Für die Akzeptanz der Politik ist allein der Verdacht der
Selbstbedienung verheerend. Niemand kann dem Bundestag eine Regelung
der Fraktionsfinanzen abnehmen. Er muss selbst die Kraft aufbringen,
Systemlücken zu erkennen, zu benennen und anzugehen. Diese Diskussion
anzustoßen und anzuführen - eine Übung in politischer Hygiene -, wäre
eine lohnende Aufgabe für den Bundestagspräsidenten. Herr Schäuble,
übernehmen Sie?
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