Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Juncker/Ungarn: Rührend, aber realitätsfern von Daniela Weingärtner
Geschrieben am 12-09-2018 |
Regensburg (ots) - Mit einer Liebeserklärung an Europa hat
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern seine große Rede zur
Lage der Union abgeschlossen. Er tat es wenige Stunden nachdem
Ungarns Premier Victor Orban an gleicher Stelle erklärt hatte,
europäische Regeln seien für ihn zweitrangig. Was allein zähle, sei
das Selbstbestimmungsrecht seiner Landsleute. Angesichts des
Zustands, in dem sich die EU aktuell befindet, wirken Junckers Worte
rührend, aber auch realitätsfern. Er will die Union in ihrer jetzigen
Größe erhalten, sieht für Nord- und Südländer darin gleichermaßen
einen Platz wie für Ost- und Westeuropäer. Die provisorisch
eingeführten Kontrollen an den Binnengrenzen sollen möglichst rasch
wieder verschwinden, der Euro als Leitwährung international an
Bedeutung gewinnen, die Europäer auch außenpolitisch stärker in
Erscheinung treten. Die Wähler dürften diese warmen Worte kaum
beeindrucken. Sie erleben eine tief gespaltene Union, die sich von
ihren Gründeridealen weit entfernt hat und in der jeder nur mehr
seine eigenen Interessen verfolgt. Die Wahl im Mai wird die Parteien
am rechten und linken Rand weiter stärken. Dieser Trend zeigt sich
seit Jahren auf nationaler Ebene und wird sich vermutlich europäisch
noch deutlicher ausdrücken, da Wähler ihre Stimme bei Europawahlen
gern als Denkzettel einsetzen. Das Ergebnis könnte einen Parteienmix
ins Hohe Haus führen, der es fast unmöglich macht, Mehrheiten für
gemeinschaftliche Projekte zusammenzubringen. Das würde die EU noch
zusätzlich lähmen. Wie das Beispiel Ungarn zeigt, sind Appelle ans
rechtsstaatliche Gewissen, an die mit dem Beitritt übernommenen
Verpflichtungen völlig wirkungslos. Je lauter Victor Orban gegen die
Europäische Union wettert, desto größer sind seine Wahlerfolge. Die
Osteuropäer sind fast sämtlich in der EU emotional noch nicht
heimisch geworden. Sie sehen das Bündnis als ein notwendiges Übel, um
ökonomisch mit Westeuropa gleichzuziehen und militärisch Russland
wirkungsvoller die Stirn bieten zu können. Darüber hinaus verbitten
sie sich jegliche Einmischung. Dieses rein interessengeleitete Denken
greift inzwischen auch auf die westlichen EU-Staaten über. Aus dem
Gründerland Italien hört man mittlerweile ähnliche Töne. Es nützt
nichts, die EU den Skeptikern gegenüber gebetsmühlenartig als
Friedensprojekt anzupreisen, das seinen Mitgliedern ständig
wachsenden Wohlstand und große Sicherheit bringt. Es muss stattdessen
deutlich werden, dass diese Wohltaten nicht umsonst zu haben sind und
im Gegenzug Loyalität verlangt wird. Die EU-Kommission hat in die
kommende Finanzperiode einen Mechanismus eingebaut, der diese Logik
besser verdeutlichen könnte als tausend Worte. Er ermöglicht es,
Ländern wie Ungarn, Polen, Italien oder der Slowakei Subventionen zu
kürzen, wenn sie nachweislich europäische Grundrechte verletzen. Die
Begründung dafür stützt sich nicht auf ein schwer zu definierendes
gemeinsames Wertegerüst, das von den derzeitigen Regierungen dieser
Länder ohnehin nicht ernst genommen wird. Es gründet vielmehr ganz
handfest auf ökonomische Überlegungen. Ländern, die europäische
rechtsstaatliche Standards nicht mehr einhalten, sollte der Zugriff
auf EU-Milliarden beschnitten werden, da sie nicht länger garantieren
können, das Geld ordentlich zu verwalten und die Vergabe fair zu
kontrollieren - so sachlich, so logisch. Gezahlt wird nur, wenn ein
Land der EU gegenüber loyal ist und die Spielregeln beachtet - diese
Sprache würde man in Ungarn und Italien mit Sicherheit besser
verstehen als Liebeserklärungen an das einzigartige Friedensprojekt
Europa. Die proeuropäischen Regierungen allerdings müssten den Mut
haben, der EU-Kommission dabei den Rücken zu stärken.
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