Mittelbayerische Zeitung: Koalition der Getriebenen / Will die schwarz-rote Regierung wieder Vertrauen zurückgewinnen, muss sie durch wirkliche Sacharbeit überzeugen / Von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 24-09-2018 |
Regensburg (ots) - Eine Regierungskoalition ist keine Wunschehe,
bei der sich liebende Partner ewige Treue schwören. Die jetzige GroKo
ist vielmehr die letzte verbliebene, halbwegs vernünftige politische
Not-Ehe. Wäre sie vor einem halben Jahr nicht doch noch zustande
gekommen, hätte der Ausweg aus der Krise nur Neuwahlen bedeuten
können. Allerdings war die Unwägbarkeit des Ausgangs eines erneuten
Urnengangs für den Bundestag zugleich ein gewichtiges Argument für
eben jene GroKo, die das Land seither ertragen muss. Und was das
Schlimme ist, nur notdürftig zusammengezimmert, quält uns dieses
Regierungsbündnis von Beginn an mit Streitereien, dass es einen
graust. Das kleine Pflänzchen Vertrauen, das Grundlage jeder
Zusammenarbeit in einer Regierung - wie im Verhältnis zum Volk - ist,
wurde immer wieder zertrampelt. Und zwar nicht nur von "Crazy Horst",
der seine politische Dauerfehde mit Flüchtlings-Kanzlerin Angela
Merkel bis an den Kabinettstisch trägt, sondern auch von der
Kanzlerin selbst sowie von der offenbar überforderten SPD-Chefin
Andrea Nahles. Als wäre das unsinnige, von Seehofer auf die Bühne
gebrachte Sommertheater zur Zurückführung registrierter Flüchtlinge
an der Grenze nicht schon des Üblen zu viel, stand die letzten drei
Wochen der "Fall Maaßen" auf dem Spielplan. Im Unterschied zum
Theater gab es allerdings kein Szenarium, keinen Plan, sondern man
stolperte munter in Richtung Abgrund. Dass der umstrittene
Verfassungsschutz-Chef nun doch nicht zum besser besoldeten
Innen-Staatssekretär wegbefördert, sondern "nur" Sonderberater des
Innenministers wird, gehört zu diesem absurden Theater halbgarer
Entscheidungen der drei GroKo-Oberen. Seehofer, Merkel und Nahles
hatten offenbar kein Gespür mehr dafür, welchen Sturm der Entrüstung
ihre Entscheidung im Fall Maaßen vom letzten Dienstag im Land
auslösen würde. Diese GroKo ist zu einer Koalition der Getriebenen
geworden. Getrieben von den dramatisch einbrechenden Umfragewerten
für alle drei Parteien, getrieben vom Dauerstreit zwischen den Chefs
von CSU und CDU über die Flüchtlingspolitik, getrieben vor der Angst
vor der rechtspopulistischen AfD, getrieben von der Furcht vor
Neuwahlen und vor dem Machtverlust - in Berlin, vor allem aber in
München. Vielleicht hat diese Koalition noch eine kleine Chance.
Nämlich die, durch harte Sacharbeit Probleme der Menschen zu lösen
und damit Vertrauen zurückzugewinnen. Diese Chance freilich ist
klitzeklein. Dabei liegen die Probleme, die die Menschen bewegen,
förmlich auf der Straße. Der ungelöste Diesel-Skandal stinkt zum
Himmel. Noch fehlt der Regierung der Mumm, die Autohersteller zur
Verantwortung und zu nachhaltiger Nachrüstung der Fahrzeuge zu
zwingen, die sie mit Schummelsoftware ausgerüstet haben. Berlin steht
in dieser Frage gegenüber Millionen Dieselfahrern sowie sauberer Luft
in den großen Städten in der Verantwortung. Dass sozialer Wohnungsbau
in Ballungszentren angekurbelt und wirksamer Mieterschutz eingeführt
werden muss, weiß man eigentlich seit Jahren. Nur geschehen ist
erschreckend wenig. Die tun was - hatte einst ein großer Autobauer
aus Köln geworben. Diese Regierung aber tut viel zu wenig für sichere
Renten, für Pflege, für Bildung, für Innovationen, für
Digitalisierung, für ein leistungsfähiges Breitbandnetz, für eine
bezahlbare Energiewende, für eine zuverlässige, moderne Eisenbahn.
Dass die Wirtschaft im neunten Jahr in Folge brummt, ist ein
Verdienst der Wirtschaft selbst, nicht der Regierung. Aber die muss
heute dafür sorgen, dass das auch morgen so bleiben kann. Der Bedarf
nach wirklichen Weichenstellungen in die Zukunft ist viel größer als
das politische Angebot dieser GroKo, die sich im kleinlichen Streit
selber lähmt.
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Mittelbayerische Zeitung
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