Mittelbayerische Zeitung: Freie Fahrt für alte Diesel / Mit dem Diesel-Konzept verschaffen sich Union und SPD Luft vor den Landtagswahlen. Saubere Luft für die Bürger war eher drittrangig. Von Bernhar
Geschrieben am 03-10-2018 |
Regensburg (ots) - Was war das für eine schwere Geburt. Aber nun
ist sie geboren, die Diesel-Lösung, gerade noch rechtzeitig vor den
Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Söders und Bouffiers Bedrängnis
sei Dank hat sich die Koalition nach haufenweise Irrungen und
Wirrungen mit diversen Pirouetten auf ein Konzept geeinigt. Es
enthält die von Verkehrsminister Andreas Scheuer favorisierte
Rückkauflösung. Und es stehen auch Hardware-Nachrüstungen drin, ohne
die die SPD und Volker Bouffier in diesen Tagen nicht zustimmen
wollten. Nun ist endlich alles klar. Oder? Eher nicht. Erstens ist
das Konstrukt reichlich kompliziert geraten. Zweitens drehen einige
Autohersteller der Bundesregierung eine lange Nase und sagen: Wir
rüsten keine Hardware nach. Drittens: Wer gar reinen Herzens reine
Luft, eine gesunde Umwelt für das Wichtigste bei diesem Thema hält,
dem muss gesagt sein: Egal, was Berlin beschließt - der Schaden ist
längst entstanden. Es gibt keine Chance, mit den schmutzigen Diesel
so umzugehen, dass die Umweltbelastung geheilt werden könnte. Die
Verschrottung der Autos wäre aus Umweltgesichtspunkten Unsinn. Der -
wahrscheinliche - Export verlagert lediglich die Emissionen. Bei
vielen alten Autos ist eine Hardware-Umrüstung unsinnig. Am
drängendsten ist das Abgasproblem in den Städten. Aber auch auf dem
Land bläst ein Diesel Stickstoffdioxid in die Umgebung. Dort gibt es
keinen Ausgleich, keine Förderung, keine Nachrüstung. Man kann
argumentieren, da verteilt sich das NOx besser und die
Landbevölkerung ist härter im Nehmen. Das ist aber zynisch. Wenn es
bei dem Konzept bleibt, dann bekommt ein Kelheimer nichts für seinen
Alt-Diesel. Sollte dieser nach München pendeln und dort ein
Fahrverbot gelten, dann hat er verloren. Dass Fahrverbote nun
abgewendet sind, glaubt nicht mal die Bundesregierung. Darum geht es
aber viel mehr als um die Umwelt. Die ist nur mittelbar im Spiel,
weil die Luft dummerweise so schlechte Werte liefert, dass Gerichte
und EU-Gesetze Fahrverbote vorschreiben. Dennoch sind die drohenden
Fahrstopps kein Problem für Altdieselfahrer. Denn die Kommunen werden
sie nicht überwachen können. So, wie die Kontrollen jetzt gedacht
sind, muss niemand damit rechnen, dass er erwischt wird. Man wird den
Verdacht nicht los, dass das genau so gewollt ist: Freie Fahrt für
alte Diesel. Gewollt ist wohl auch, dass es nur wenige
Hardware-Umbauten an Gebraucht-Dieseln geben wird. Stattdessen dürfte
die Rückkauflösung die am meisten gewählte Variante werden. Es ist
das dritte prämienbasierte Modell seit 2009. Damals die
Abwrackprämie, 2017 die Nachlässe bis zu 10 000 Euro für neue Diesel.
Und jetzt je nach Hersteller - Stand heute - auch bis zu 10 000 Euro,
immerhin nicht gebunden an den Erwerb eines Diesel, sondern
unabhängig vom Motor. Wobei es eine Ironie des Schicksals ist, dass
der Diesel ausgerechnet jetzt aufs Sterbebett sinkt, wo er zum ersten
Mal tatsächlich ziemlich sauber sein kann. Die Abgaswerte neuester
Modelle sind sensationell gut, allerdings bei hohem Aufwand. Die
Autohersteller werden die Prämien verschmerzen. Sie kurbeln den
Absatz neuer Autos an. Spannend wird sein, wie der (faire?) Gegenwert
für den alten Wagen ermittelt wird. Verschiedentlich, so hört man aus
der Branche, haben die Hersteller die Preise für Verbrenner nach der
neuesten Schadstoffnorm in jüngster Zeit angehoben. Schwups, schon
tut der Prämienaufschlag nicht mehr ganz so weh. Und was passiert mit
den eingetauschten Autos? Die müssten konsequenterweise nachgerüstet
werden. Viel wahrscheinlicher ist: Sie werden exportiert. Aus den
Augen, aus dem Sinn. Sie stickoxideln dann halt im fernen Ausland.
Aber wie gesagt: Um die Umwelt geht es bei diesem Konzept am
allerwenigsten.
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