Mittelbayerische Zeitung: Die Schwäche des Systems/Der Haushaltsstreit mit Italien stürzt die Europäischen Union in ein Dilemma. Dennoch liegt in dem Konflikt eine große Chance.
Geschrieben am 22-10-2018 |
Regensburg (ots) - Wäre die Situation nicht so ernst, man könnte
sich an eine Auseinandersetzung im Kindergarten erinnert fühlen.
Gegenseitige Schuldzuweisungen sind unter Dreijährigen beim Streit um
die Schaufel Gang und Gäbe. In gewisser Hinsicht erinnert auch die
ungleich folgenreichere Auseinandersetzung zwischen der italienischen
Regierung und der EU-Kommission in Brüssel um das neue italienische
Haushaltsgesetz an einen Kampf im Sandkasten. Die Regierung aus
Fünf-Sterne-Bewegung und Lega lässt mit einiger Überzeugungskraft
einen Großteil der Italiener glauben, dass alleine die
Sparforderungen aus Brüssel Italien seiner wirtschaftlichen Kraft
beraubt hätten. Dieses "Diktat" des von fremden Regierungen
bestimmten Brüsseler Apparats müsse endlich durchbrochen werden. Dies
soll nun durch die Neuverschuldung für 2019 in Höhe von 2,4 Prozent
der Wirtschaftsleistung geschehen. Das ist dreimal soviel wie
verabredet. Die Regierung in Rom will auf diese Weise ihre
Wahlkampfversprechen wie die Einführung eines Bürgergehalts, die
Reduzierung des Renteneintrittsalters, Steuersenkungen sowie eine
Amnestie für Steuerhinterzieher finanzieren. Natürlich werden
Italiens Probleme dadurch nicht nachhaltig gelöst. Die Maßnahmen sind
viel mehr ein klientelistisches Trostpflaster auf den wunden Seelen
der Italiener, die sich (wenig überraschend) sehr angetan von den
Haushaltsplänen der Regierung zeigen. Nach einer Umfrage heißen 59
Prozent der Italiener das Haushaltsgesetz für gut. In Brüssel,
Berlin, Paris und den meisten anderen europäischen Hauptstädten
greift die entgegengesetzte Lesart. Sie lautet: Die populistische
Regierung in Rom handelt unverantwortlich und spielt mit dem Feuer,
indem sie Märkte und Investoren mit der hohen Neuverschuldung
provoziert und damit die Stabilität der gesamten Währungsunion aufs
Spiel setzt. Das Dilemma, dem die EU nun ausgesetzt ist, ergibt sich
durch die Größe der italienischen Volkswirtschaft, die drittgrößte in
der Währungsunion. Italien ist zu groß, um es bankrott gehen zu
lassen. Ein zukunftsweisender Weg aus dieser Krise dürfte kaum über
Konfrontation führen. Das gegenseitige Brandmarken als Verursacher
der Probleme bringt keine Lösung, sondern führt eher in den Abgrund.
Letztlich kann die EU-Kommission nur ein Defizitverfahren gegen Rom
einleiten, aber nicht die innerstaatliche Finanzpolitik bestimmen.
Italien und die übrigen, jetzt über die südlichen Nachbarn so
empörten EU-Mitglieder, sitzen im selben Boot. Das zeigt schon die
Tatsache, dass Italien und die anderen Staaten der Währungsunion
gemeinsam die Folgen einer Schulden- und Finanzkrise tragen würden.
Sie sind Partner, empfinden sich aber als Gegner. Es ist deshalb
kurzsichtig, mit dem Finger auf die bösen Buben in Rom zu zeigen.
Denn es wird leicht vergessen, dass auch Länder wie Deutschland oder
Frankreich hochverschuldet sind. Das Ansehen dieser Länder bei den
Anlegern, die das Defizit finanzieren, ist zwar ungleich besser. Die
Grundkonstellation ist aber dieselbe: Extreme Staatsverschuldung war
lange ein Mittel, um den Wohlstand der Gegenwart mit erst in der
Zukunft gestellten Rechnungen zu bezahlen. Diese Rechnungen werden
uns langsam, aber sicher präsentiert. Italien macht die Spitze des
Eisberges sichtbar. Dieses Extrem für das eigentliche Problem zu
halten, wäre kurzsichtig. Stattdessen müssten im Zuge der
gegenwärtigen Auseinandersetzung Antworten auf grundsätzliche, hinter
der drohenden Krise liegenden Fragen gesucht werden. Welche
Alternativen sind denkbar zu einem auf Schulden basierenden
Wirtschaftssystem, das auf ständiges, aber sich eben nicht immer
einstellendes Wachstum angewiesen ist? Man könnte den so oft
gescholtenen Ratingagenturen, "Finanzmärkten" und Investoren beinahe
dankbar sein für ihre Bewertungen für Käufe und Verkäufe von
Staatstiteln. Denn die von ihnen ersonnenen Indikatoren der "Bonität"
weisen implizit auf die Schwächen des Systems hin.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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