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Sepsis in Deutschland: Bis zu 20.000 vermeidbare Todesfälle

Geschrieben am 22-11-2018

München (ots) - In Deutschland wird die Sepsis dramatisch
unterschätzt. Die Folgen sind bis zu 20.000 vermeidbare Todesfälle
pro Jahr - oder 55 Tote pro Tag. Das Uniklinikum Greifswald zeigt mit
seinem Programm "Sepsisdialog", wie man es besser machen kann. Die
Sepsis ist weltweit die Nummer Eins unter den vermeidbaren
Todesursachen.

Den ganzen Artikel lesen Sie auch auf Pharma Fakten:
http://ots.de/HO9ZsO

Vielleicht ist Greifswald nicht der Nabel der Welt. Doch in Sachen
Sepsis hat sich die Stadt im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern
einen Ruf erarbeitet, der weit über die Grenzen Deutschlands
hinausgeht. Durch gezielte Qualitätsmaßnahmen ist es dort gelungen,
die Sterblichkeit als Folge der Blutvergiftung gegenüber dem
bundesdeutschen Durchschnitt deutlich zu senken. Dafür gab es im Jahr
2017 sogar den World Sepsis Award der Organisation Global Sepsis
Alliance (GSA). Deren Mission: eine Welt frei von Sepsis.

Das dürfte ein langer Weg werden - und für Deutschland sogar ein
besonders steiniger. Denn beim Management der Sepsis ist das Land im
besten Fall nachlässig. "Die Folge sind 15.000 bis 20.000 vermeidbare
Todesfälle durch Ignoranz", wie der Journalist Helmut Laschet in dem
Artikel "Sepsis - ein deutscher Skandal" für den
gesundheitspolitischen Informationsdienst Implicon schreibt. Seine
Analyse: "Prinzipiell vorhandenes medizinisches Wissen wird nicht
konsequent angewandt."

Sepsis: die fehlgeleitete Reaktion des Körpers auf eine Infektion

Sepsis ist, wenn Infektionen im Körper außer Kontrolle geraten;
sie ist die aggressivste Form einer Infektion, ausgelöst durch
Bakterien, Viren oder Pilze und deren Gifte. In dem Versuch, eine
Infektion zu bekämpfen, kommt es zu einer übermäßigen Reaktion. Der
Patient ist in dem Moment weniger durch den Angriff von Bakterien,
sondern durch die fehlgeleitete Reaktion seines Körpers auf diesen
Angriff gefährdet. Ursache können etwa Wund- und Harnwegsinfektionen,
Lungenentzündungen, eine Bauchfellentzündung oder eine Grippe sein.
Die fehlgeleitete Antwort kann in kürzester Zeit zu einem Versagen
verschiedener Organe führen. Die Sterblichkeit, so die Autoren des
Greifswalder Sepsisdialogs, liegt zwischen 20 und 50 Prozent. Sie ist
damit deutlich höher als bei Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Eine Sepsis kann jeden treffen. Besonders gefährdet sind aber
nicht nur Ältere, sondern auch Kinder unter einem Jahr oder Menschen
mit chronischen Erkrankungen oder solche, denen eine Milz fehlt. Wie
man einer Sepsis vorbeugt, wie man sie erkennt und behandelt, zeigt
das Youtube-Video "Sepsis ist ein medizinischer Notfall":
https://bit.ly/2Dz7tSd. Ist die Sepsis da, ist Zeit ein
entscheidender Faktor.

Der deutsche Sepsis-Skandal fängt damit an, dass niemand die
genauen Zahlen kennt. Offiziell geht man hierzulande von 233.000
Sepsis-Fällen jährlich aus. Andere Zahlen sprechen von mehr als
320.000 Betroffenen. Legt man Vergleichszahlen aus anderen Ländern zu
Grunde - z.B. aus Krankenakten in den USA oder Schweden - könnten es
aber auch 410.000 bis 571.000 Fälle sein. Nun könnte man meinen, dass
in einem Land, in dem es zu jedem Vorgang eine Akte gibt, die Zahl
der Sepsis-Betroffenen leicht feststellbar sein müsste. Das ist aber
nicht so. Denn landet ein Patient auf der Intensivstation, kann es
zwar sein, dass seine Beatmung dokumentiert ist, nicht aber die
dahinterliegende Ursache. Die Sepsis verschwindet aus den Akten. Eine
hohe Dunkelziffer sorgt dafür, dass sie als Krankheitsgeschehen
unterschätzt wird. Fehl- und Unterdokumentation ist einer der größten
Feinde im Kampf gegen Todesfälle, die eigentlich nicht sein müssten.

Andere Zahlen hingegen kennt man: Im Vergleich zu anderen Ländern
ist die Mortalitätsrate infolge einer Sepsis in Deutschland mit rund
42 Prozent hoch. In Großbritannien etwa liegt sie bei 32, in den USA
bei 23,5 und in Australien bei rund 18,5 Prozent. Woran das liegt,
darauf gibt eben das erwähnte Beispiel Greifswald eine Antwort. Der
Sepsisdialog ist ein Qualitätssicherungsprogramm. Das Team um Dr.
Matthias Gründling setzt auf:

- konsequente Schulungen und Fortbildung von Ärzten und
Pflegekräften
- Datenerfassung und Auswertung inkl. der Entwicklung eines
eigenen Computerprogramms
- konsequentes Screening der Patienten
- Fallbesprechungen und Feedback
- Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit
- Antibiotikagabe innerhalb einer Stunde
- eine Vollzeitkraft als Sepsisschwester.

Die Ergebnisse sind beeindruckend: Die Sterblichkeit in Greifswald
ist von rund 45 Prozent (2014) auf 31 Prozent (2017) gesunken - das
bedeutet eine relative Senkung der Sterblichkeit um ein Drittel.
Übertragen auf den bundesdeutschen Maßstab bedeutet das, dass 15.000
bis 20.000 Todesfälle vermieden werden könnten. "Im internationalen
Maßstab ist Greifswald kein Wunder, sondern Ergebnis sorgfältiger
Qualitätsarbeit, die offenbar in den Gesundheitssystemen anderer
Länder einen wesentlich höheren Stellenwert hat", schreibt Laschet im
Implicon.

Auffallend ist, dass sich mit der Umsetzung des
Qualitätssicherungsprogramms die Sepsis-Fallzahlen in Greifswald
zunächst verdoppelten. Es ist das Ergebnis konsequenten Screenings
der Patienten und dürfte ein weiterer Hinweis darauf sein, wie viele
Sepsisfälle gar nicht erst als solche erkannt werden. Symptome einer
Sepsis werden oft anderen Krankheiten zugerechnet - ein Fehler mit
fatalen Folgen. "Die deutsche Praxis des Umgangs mit Sepsis
verursacht tausendfach schweres Leid der Angehörigen durch
vorzeitigen Tod ihrer Kinder, Ehepartner, Eltern oder Freunde",
schreibt Laschet. "Überleben die Betroffenen [...] sind sie nicht
selten lebenslang behindert: durch Hirnschädigungen, Gehörverlust
oder Amputationen. Lebenspläne werden zunichte gemacht, vorzeitige
Invalidität ist eine der gravierenden Folgen. Sepsis ist somit eine
Krankheit, die nicht nur innerhalb des Gesundheitswesens erhebliche
Kosten verursacht, sondern gesamtgesellschaftlich hohe monetäre und
nicht monetäre Schäden anrichtet."

Der Sepsis-Skandal: in der Politik noch nicht angekommen

In der Gesundheitspolitik ist die Problematik nur teilweise
angekommen. Immerhin: Auf Antrag der Patientenvertreter im
Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wurde die Entwicklung eines
Qualitätssicherungsverfahrens beschlossen, das zukünftig für Kliniken
in Deutschland verpflichtend gelten soll. Doch bis es umgesetzt ist,
dürften Jahre vergehen.

Einen Beitrag allerdings können alle leisten: sich impfen lassen.
Denn die beste Vorsorge gegen die Sepsis ist die Vorbeugung einer
Infektion - und genau das können Impfstoffe. So weisen medizinische
Leitlinien aus, dass Menschen, die ihre Milz verloren haben,
unbedingt gegen Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus und Grippe
geimpft sein sollten, weil sie ein erhöhtes Risiko für
lebensbedrohliche Infektionen haben. Die Realität sieht anders aus -
es ist nur ungefähr die Hälfte dieser Personengruppe geimpft. Ein
Trauerspiel sind hierzulande auch die Durchimpfungsraten gegen Grippe
- bei Menschen über 65 Jahren sind es gerade mal ein Drittel, die
sich für den Impfschutz entscheiden.

Unkenntnis, mangelhafte Organisation, eine laxe Präventionspolitik
und ihre Impflücken - all das sorgt tagtäglich in Deutschland für 55
Tote, die nicht sterben müssten. Sepsis gilt weltweit als die Nummer
Eins unter den vermeidbaren Todesursachen. Das Beispiel Greifswald
zeigt eindrucksvolle und machbare Verbesserungen. Noch einmal
Laschet: "Es ist nicht nachvollziehbar, warum es Jahre dauern muss,
dies zu einem verbindlichen Standard zu machen."

"Sepsis in Deutschland: Bis zu 20.000 vermeidbare Todesfälle" auf
Pharma Fakten: http://ots.de/p0sk54



Pressekontakt:
Redaktion Pharma Fakten
www.pharma-fakten.de
E-Mail: redaktion@pharma-fakten.de
http://twitter.com/pharmafakten

Original-Content von: PHARMA FAKTEN, übermittelt durch news aktuell


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