Mittelbayerische Zeitung: Die Qual der Wahl
Von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 03-12-2018 |
Regensburg (ots) - Wir wollen uns bei Wahlen quälen, hatten
ostdeutsche Bürgerrechtler in der friedlichen Revolution vor fast 30
Jahren gefordert. Im SED-Staat gab es keine wirkliche Auswahl
zwischen Parteien und Personen, Wahlergebnisse wurden vorgegeben und
sogar gefälscht. Die demokratische Freiheit der freien Auswahl
zwischen unterschiedlichen Kandidaten entfaltet derzeit in der CDU
eine bislang nicht für möglich gehaltene innerparteiliche Dynamik.
Tausende Mitglieder der einst als "Kanzlerwahlverein" verspotteten
Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls machten sich in den
vergangenen Wochen auf, um den drei aussichtsreichsten Bewerbern um
den Vorsitz auf den Zahn zu fühlen. So viel lebendige und streitbare
Demokratie hat die Christlich Demokratische Union in sieben
Jahrzehnten noch nicht erlebt. Die drei aussichtsreichsten Kandidaten
um den Vorsitz - Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens
Spahn - mussten in diversen Mitgliederforen Rede und Antwort stehen,
auch zu kniffligen Fragen. Doch selbst wenn man dabei höfliche
Umgangsformen wahrte und allenthalben die Einheit der CDU beschwor,
so zeigten sich doch zum Teil erhebliche politische Unterschiede. Es
geht auf dem Hamburger Parteitag nicht nur darum, wer Angela Merkel,
der Langzeit-Vorsitzenden, nachfolgt, sondern auch um den künftigen
Kurs der - immer noch - Volkspartei CDU. Die 1001
Parteitags-Delegierten können auswählen, ob sie die eher
sozialliberale Kramp-Karrenbauer, den wirtschaftsnahen Merz oder den
Jung-Konservativen Spahn auf den Chefsessel hieven. Einen Abschied
von Merkels ziemlich einsamem Führungsstil in der CDU wird es auf
jeden Fall geben. Teamspiel und Zuhören sind die neuen Grundtugenden,
die jeder neue Parteivorsitzende beherrschen muss. Dass die große
Schwesterpartei der CSU auf den offenen Wettbewerb bei der Besetzung
des obersten Parteiamtes setzt, könnte ebenfalls ein Vorbild für die
kleine bayerische Unions-Schwester sein. Allerdings läuft in der
ebenfalls arg gerupften CSU die voraussichtliche Wahl von Markus
Söder im Januar nach dem Motto ab: der Sieger bekommt alles. Die CSU
würde in dem Fall dann nicht mehr von einem Bundesminister, dem
glücklosen und für Querschüsse jederzeit guten Horst Seehofer,
sondern vom Münchner Regierungschef geführt. Wenn sich im nächsten
Jahr die Spitzen der GroKo in Berlin treffen, werden gleich zwei neue
Gesichter am Tisch sitzen. Einfacher dürfte das Regieren unter der
Noch-Kanzlerin Merkel und mit einem Noch-Innenminister Seehofer nicht
werden. Allerdings sind Merz und Kramp-Karrenbauer klug genug, nicht
gleich Merkels Abschied vom Kanzleramt zu betreiben. Die deutsche
Regierungschefin hat eben erst auf dem zähen G20-Gipfel in
Argentinien gezeigt, dass ihr Verhandlungsgeschick, ihr Ruf auf der
internationalen Bühne nicht so ohne weiteres zu ersetzen sind. Die
aktuellen internationalen Konflikte - von der Ukraine bis nach
Syrien, von Saudi Arabien bis zum Iran, der Handelskrieg zwischen
Washington, Brüssel und Peking - brauchen keine Anfänger, sondern
erfahrene Gestalter. Allerdings hat alles seine Zeit. Auch Merkels
Regierungszeit geht zu Ende. Es wäre aus Sicht der Union nicht klug,
wenn die Kanzlerin bis 2021 weiter regierte und dann alles auf einen
wahlkämpfenden Nachfolger setzte. Will die Union von den derzeit
schwachen Umfragewerten wegkommen, dann sollte der - oder die - neue
Spitzenkandidat oder -kandidatin mit dem Kanzlerbonus in den
Wahlkampf ziehen. Das würde allerdings eine Verabredung des neuen
CDU-Chefs bzw. der Chefin mit Merkel voraussetzen. Die scheint jedoch
gerade Lust am Regieren ohne den Parteirucksack gefunden zu haben.
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