Westfalenpost: Zum Abschied des Bergbaus: Was bleibt, ist der Wert der Solidarität
Geschrieben am 21-12-2018 |
Hagen (ots) - Scheiden tut weh - mal mehr und mal weniger. Die
Trennung der letzten Bergleute von ihrer Kohle tat gestern in Bottrop
verdammt weh. Da können noch so viele Politiker und Prominente auf
den letzten Drücker ihr Herz für die Kumpel entdecken - für Menschen,
die nicht von hier "wech" kommen, sind ihre Tränen nicht ansatzweise
nachzufühlen. So leicht ist das ja auch nicht zu verstehen, warum
sich Menschen derart mit einem Beruf identifizieren, der sie jedes
Tageslichts beraubt, feinsten Staub in Poren und Lungen presst und
nach Spezialwaschgel verlangt, um in der Kaue das Schwarz aus
Augenlidern und Halsfalten wegzukriegen. Identität gestiftet Der Pütt
hat das Ruhrgebiet und seine Menschen geprägt, hat Identität
gestiftet in Städten, die entlang der Ruhr und der Emscher erst mit
den Zechen groß geworden sind. Worauf sollten die Leute denn sonst
stolz sein? Auf ihre ehrliche Arbeit konnten sie es. Die einmalige
Ansammlung fließend ineinander übergehender Großstädte ist ein
Produkt des Bergbaus. Ohne Kohle kein Stahl, ohne die Montanindustrie
kein Ruhrgebiet. Doch die Kohle geht nicht plötzlich und schon gar
nicht unerwartet. Hunderte Zechen gaben in der Spitze um 1950 einer
halben Million Menschen im Ruhrgebiet Arbeit, zum Ausstieg sind es
noch 3500. Längst lebt das Revier von den Dienstleistungsbranchen -
sie sorgen heute für acht von zehn Jobs. Das Revier hat noch
Industrie. Doch Südwestfalen und das Münsterland sind den Zahlen nach
längst viel mehr Industrieregion als das Ruhrgebiet. Die lange
gepflegte Monokultur aus Kohle und Stahl war die Wiege des
Ruhrgebiets, aber auch Ursache für die folgende Strukturschwäche und
die hohe Arbeitslosigkeit, kurz: für den Niedergang seit den
70er-Jahren. Dafür kann kein Bergmann etwas, aber die alte Garde der
Revierbarone. Sie duldeten niemanden neben sich, witterten in den
fetten Wirtschaftswunderjahren etwa in der Autoindustrie Konkurrenz
im Kampf um die Arbeiter. Das 1962 eröffnete Opel-Werk in Bochum war
alles andere als willkommen, jetzt sind beide weg. Den Ruhrbaronen
gehörten die Flächen, und die gaben sie nicht her. Diese
"Bodensperre" wirkt bis heute nach. Steinkohle als Vorbild Erst mit
dem inzwischen neunjährigen deutschen Daueraufschwung bekam auch das
Ruhrgebiet die Kurve. Ein stärker werdender Mittelstand in Handel und
Handwerk schafft ebenso Jobs wie die Gesundheitswirtschaft und die
Logistikbranche. Die Absolventen der Ruhrgebiets-Unis ziehen mit
ihren Diplomen nicht mehr automatisch gen Süden, weil sie inzwischen
auch hier gut bezahlte Jobs finden. In den Revier-Kraftwerken wird
weiter Kohle verfeuert - aus Australien, Kolumbien und Südafrika.
Dort liegt das schwarze Gold knapp unter der Oberfläche, und nicht in
1200 Metern Tiefe, was die deutsche Kohle zu teuer macht. Im
Gegensatz zur Braunkohle, die im Tagebau gefördert wird. Weil die bei
der Verbrennung noch mehr Treibhausgase produziert, arbeitet die
Bundesregierung aber bereits am nächsten Kohleausstieg. Dabei sollte
sie sich in einem Punkt die Steinkohle zum Vorbild nehmen: Sie hat
Hunderttausende Arbeitsplätze abgebaut, ohne einen Kumpel ins
Bergfreie fallen zu lassen. Diese Solidarität im Großen und der
Zusammenhalt unter Tage im Kleinen sind die wahren Werte, die es zu
erhalten gilt. Alles andere ist ab heute Folklore.
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Westfalenpost
Redaktion
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