BERLINER MORGENPOST: Gerechtigkeit kostet Geld / Leitartikel von Jens Anker zur Brandenburger Justiz
Geschrieben am 17-01-2019 |
Berlin (ots) - Kurzform: Wenn Brandenburg jetzt wie ankündigt neue
Staatsanwälte und Richter einstellt, ist das eine gute Sache. Es
stellt sich aber die Frage: Warum erst jetzt? Auch bei der Polizei
wurde spät, aber immerhin reagiert. Schon längst hätte auf die sich
anbahnende Entwicklung maßvoll reagiert werden können, entsprechende
Appelle aus der Justiz an die Politik gab es schon lange. Das hätte
den erfreulichen Nebeneffekt gehabt, dass sich Amts- und
Staatsanwälte, Amts- und Strafrichter ernst genommen fühlen. Diese
Chance wurde in Brandenburg in den vergangenen Wochen vertan.
Der vollständige Leitartikel: Gleich zwei spektakuläre Fälle
erregen derzeit die Öffentlichkeit in Brandenburg. Anfang Dezember
wurde ein mutmaßlicher Mörder aus der Haft entlassen, weil das
Verfahren zu lange dauerte. Nur einen Monat später ordnete das
Oberlandesgericht an, einen in erster Instanz zu neuneinhalb Jahren
verurteilten mutmaßlichen Brandstifter ebenfalls freizulassen, weil
die Justiz zu langsam arbeitete. Was lief da schief? Es gehört zum
Dauerstreit zwischen Politik und Verwaltung, dass die einen ständig
mehr Personal fordern, um ihre Arbeit erledigen zu können, die
anderen dagegen eine effektive Arbeit einfordern, um das gleiche Ziel
zu erreichen. So kommt es, dass in Zeiten des Geldmangels regelmäßig
Personal abgebaut und in guten Zeiten wieder aufgebaut wird.
Grundsätzlich ist nichts Schlechtes daran, die Arbeit in der
Verwaltung immer wieder zu überprüfen und den sich verändernden
Anforderungen anzupassen. Die Justiz entzieht sich dieser Logik
allerdings - denn sie sichert einen Grundpfeiler des Rechtsstaates.
Strafe sollte möglichst unmittelbar nach der Tat erfolgen, um Wirkung
zu erzielen, lautet eine Grundregel in der Justiz. Eine andere
lautet: Der Rechtsstaat kostet Geld. Es hilft nichts, über steigende
Kosten in der Verwaltung zu klagen: Wenn das Gewaltmonopol beim Staat
liegt, dann muss er es auch ausüben. Wie soll sonst auch eine
angemessene Strafverfolgung noch möglich sein und wie gründlich
können die Staatsanwälte und Richter noch in die Verfahren
eintauchen, wenn Verfahren angesichts der Digitalisierung und
Globalisierung immer umfangreicher und komplizierter werden? Die
Verrechtlichung der Gesellschaft führt darüber hinaus zu bisweilen
bizarren Zuständen, zum Beispiel wenn Eltern gegen die Zensuren ihrer
Kinder klagen oder Obdachlose, die vor der Kälte in die U-Bahn
fliehen, wegen Schwarzfahrens strafrechtlich verfolgt werden. Das
alles muss der Rechtsstaat aushalten. Das alles bindet aber auch
Personal und kostet Zeit, die im Fall des Mörders und des
Brandstifters offenbar fehlten. Das darf nicht passieren. Hier hätte
Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linke) längst handeln
müssen. Es ist ein Unding, dass Akten wochenlang liegen bleiben, weil
in diesen beiden Fällen die Gerichte mit der Arbeit nicht
hinterherkamen. Jetzt ist der Schaden da, das Vertrauen in die Justiz
beschädigt: Ein verurteilter Mörder und ein wegen Brandstiftung
Angeklagter, die in Haft sitzen sollten, sind frei. Im Ringen um eine
ausreichend ausgestattete Justiz darf der Kostenfaktor aber keine
Rolle spielen. Dafür trägt Ludwig die Verantwortung, weil er aus
Sorge vor unliebsamen Mehrausgaben die Situation an den Gerichten
ignorierte. Sein Versuch, sich für nicht zuständig zu erklären,
sondern mit dem Finger auf die Gerichte zu zeigen, ist fast schon
frech. Wenn Brandenburg jetzt wie ankündigt neue Staatsanwälte und
Richter einstellt, ist das eine gute Sache. Es stellt sich aber die
Frage: Warum erst jetzt? Auch bei der Polizei wurde spät, aber
immerhin reagiert. Schon längst hätte auf die sich anbahnende
Entwicklung maßvoll reagiert werden können, entsprechende Appelle aus
der Justiz an die Politik gab es schon lange. Das hätte den
erfreulichen Nebeneffekt gehabt, dass sich Amts- und Staatsanwälte,
Amts- und Strafrichter ernst genommen fühlen. Diese Chance wurde in
Brandenburg in den vergangenen Wochen vertan.
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BERLINER MORGENPOST
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