Börsen-Zeitung: Extremismus der Mitte / Kommentar von Andreas Hippin zum "Plan-B" für den Brexit
Geschrieben am 21-01-2019 |
Frankfurt (ots) - Zu den Grundlagen der Demokratie gehörte bis vor
kurzem noch, Mehrheitsentscheidungen mitzutragen, auch wenn man
selbst dagegen war. Man erkannte eine Regierung auch dann an, wenn
man selbst nicht für sie gestimmt hat. Nach dem britischen
Volksentscheid für den EU-Austritt und der Wahl Donald Trumps in den
USA wurde dieser Konsens von einem Teil der Wahlverlierer
aufgekündigt. Sie sind bis heute nicht bereit, sich mit
ihrer Niederlage abzufinden. Der politische Stillstand
in Großbritannien geht darauf zurück, dass sich die tiefe Spaltung
des Landes in Brexiteers und Remainer sowohl durch die großen
politischen Parteien als auch durch Theresa Mays Kabinett zieht.
Wer ernsthaft erwartet hatte, die Premierministerin könnte nach
drei Sitzungstagen einen Plan B aus der Tasche ziehen, nachdem das
Unterhaus den in ihrem Namen ausgehandelten 585-seitigen
EU-Austrittsvertrag mit überwältigender Mehrheit niedergestimmt hat,
wurde gestern enttäuscht. Das kleine Häuflein britischer
Unterhausabgeordneter unterschiedlicher Parteizugehörigkeit um den
ehemaligen Generalstaatsanwalt Dominic Grieve, das sie zu diesem
Auftritt gezwungen hat, verfolgte damit aber ganz andere Ziele. Ihnen
geht es darum, mit Hilfe von juristischen Mitteln und allerlei
Geschäftsordnungstricks den immer näher rückenden Austritt um jeden
Preis zu verhindern. Eine Mehrheit der Abgeordneten war schließlich
für den Verbleib in der EU. Und jede noch so dürftige Vorlage der
Regierung ermöglicht Amendments, durch die das Parlament May die
Richtung vorgeben kann.
Es ist der Extremismus der Mitte, der sich in diesem Handeln
Ausdruck verschafft. Obwohl beim EU-Referendum 1,27 Millionen
Menschen mehr für den Austritt als für den Verbleib stimmten, gibt es
für manche der Verlierer bis heute keinen Kompromiss. Dabei verfügen
sie über ein erstaunliches Sendungsbewusstsein. Die mehr als 17
Millionen Menschen, die für den Brexit votiert hatten, werden von
ihnen wahlweise als vertrottelte Provinzler dargestellt, die nicht
wussten, wofür sie ihre Stimmen abgaben, als verkalkte Oldtimer, die
der Jugend keine strahlende Zukunft in Europa gönnen wollen, oder
gleich als verkappte Ausländerfeinde.
Würde das Parlament der Regierung die Kontrolle über
den Austrittsprozess entreißen, brächte das nicht mehr Demokratie. Es
würde nur die Gräben vertiefen. Und weil sich die Remainer auf
nichts einigen können, stünde Ende März ein ganz und gar ungeregelter
Exit an.
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