Ein Jahr nach Mord an Jan Kuciak: ROG kritisiert politische Einflussnahme auf Ermittlungen
Geschrieben am 20-02-2019 |
Berlin (ots) - Ein Jahr nach dem Mord an dem slowakischen
Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina
Kusnirova fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die slowakischen
Behörden auf, unabhängige Ermittlungen sicherzustellen. Zwar haben
die Ermittler eindeutige Fortschritte gemacht, doch gibt es immer
wieder Anzeichen politischer Einflussnahme.
"Ein Jahr nach dem Mord an Jan Kuciak sollten die Politikerinnen
und Politiker in der Slowakei alles dafür tun, Polizei und Justiz in
ihrer unabhängigen Arbeit zu unterstützen und so ein sicheres Umfeld
für Journalisten zu schaffen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian
Mihr. "Leider ist immer noch oft das Gegenteil der Fall. Einige in
der Politik scheinen vor allem darauf aus zu sein, sich selbst und
ihren Ruf zu schützen."
Die regierende Partei Smer hat jüngst einen umstrittenen
Gesetzesentwurf eingebracht, nach dem Medien mit hohen Strafzahlungen
belegt werden können, wenn sie Politikerinnen oder Politikern, die
sich von Berichterstattung in ihrem Ruf oder ihrer Privatsphäre
verletzt sehen, keine Möglichkeit für Erwiderungen einräumen. Peter
Bardy, Chefredakteur von Kuciaks Nachrichtenseite Aktuality.sk,
betrachtet den Vorstoß als Versuch, "unabhängige Medien zu knebeln
und zu bestrafen". Der Gesetzesentwurf kommt vor allem deshalb zu
einem sehr bedenklichen Zeitpunkt, weil Enthüllungen über die
Verwicklungen von Politikern bedeutend dazu beigetragen haben, die
Ermittlungen im Fall Kuciak voranzubringen.
DEMONSTRANTINNEN UND JOURNALISTEN IM VISIER DER BEHÖRDEN
Auch sind die Ermittlungsbehörden wiederholt gegen die
Organisatorinnen und Organisatoren der Massenproteste für eine
unabhängige Aufklärung des Mordfalls vorgegangen. Im November hat ROG
zusammen mit dem European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF)
bei den slowakischen Behörden dagegen protestiert, dass die
Unterstützerinnen und Unterstützer der Bewegung "Für eine anständige
Slowakei", darunter auch Medienschaffende, eingeschüchtert und
juristisch verfolgt wurden. (http://ogy.de/6mqj)
Der 27 Jahre alte Investigativjournalist Jan Kuciak und seine
gleichaltrige Verlobte wurden am 21. Februar 2018 in ihrem Haus in
der Nähe von Bratislava erschossen. Er hatte zuvor über Korruption,
Steuerhinterziehung und Verbindungen hochrangiger slowakischer
Politiker zur italienischen Mafia recherchiert.
Im September 2018 verhaftete die Polizei vier Tatverdächtige,
unter ihnen Alena Zs. Sie wird auch in anderen Fällen der Beihilfe
zum Mord verdächtigt. Zs. arbeitete für den slowakischen
Geschäftsmann Marian Kocner, über dessen Geschäftsverbindungen Kuciak
wiederholt geschrieben hatte, zum letzten Mal kurz vor seinem Tod.
Kocner ließ Kuciak überwachen, Ende 2017 bedrohte er den Journalisten
am Telefon. Kuciak meldete den Drohanruf bei den Behörden, es geschah
jedoch nichts. Seit Sommer 2018 sitzt Kocner ebenfalls in Haft, da
gegen ihn mehrere Verfahren wegen anderer Vergehen laufen. Gegen ihn
wird inzwischen auch im Fall Kuciak ermittelt. (http://ogy.de/8o8z)
Diesen Fortschritten stehen scharfe Vorwürfe der Anwälte
gegenüber, die die Familien von Kuciak und seiner Verlobten
vertreten. Sie kritisieren, dass sich jüngst mehrfach Politiker und
Funktionsträger in die Mordermittlungen eingemischt hätten. Der
Innenminister, der Generalstaatsanwalt und der Polizeipräsident
beschlossen am 5. Februar, einen Teil der Ermittlungen abzuspalten
(http://ogy.de/i80z) und an die Polizeiaufsichtsbehörde zu
überstellen. Diese ermittelt normalerweise nach Fehlverhalten
innerhalb der Polizeikräfte und ist direkt dem Innenministerium
unterstellt. Der abgespaltene Teil der Ermittlungen betrifft Daniel
Lipsic, den Anwalt der Familie Kuciak, gegen den die Tatverdächtigen
ebenfalls ein Mordkomplott geschmiedet haben sollen.
(http://ogy.de/cwz3) Lipsic war Justiz- und Innenminister der heute
oppositionellen Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH) und gilt als
Erzfeind des Geschäftsmanns Kocner.
VERDÄCHTIGER MIT NETZWERK EINFLUSSREICHER UNTERSTÜTZER
Marian Kocner gilt inzwischen als dringend tatverdächtig, der
Auftraggeber oder einer der Auftraggeber hinter dem Mord an Kuciak zu
sein. Selbst aus dem Gefängnis heraus soll er noch ein großes
Netzwerk an einflussreichen Unterstützern haben. Alena Zs., eine der
vier festgenommenen Tatverdächtigen, soll zu hochrangigen
slowakischen Funktionsträgern und Politikern Kontakt gehabt haben.
Die Zeitung Dennik N berichtete im Januar, sie sei vor dem Mord an
Kuciak in Kontakt mit dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt Rene
Vanek und dem stellvertretenden Parlamentssprecher Martin Glvac
gewesen, mit Vanek habe sie noch drei Tage vor ihrer Festnahme
Kontakt gehabt. Vanek trat nach diesen Enthüllungen zurück, Glvac
(der Mitglied der Regierungspartei ist) jedoch nicht. Er gab zu, er
habe Textnachrichten und Selfies mit Alena Zs. ausgetauscht,
bestreitet aber, unter Druck gesetzt worden zu sein.
Der Anwalt von Kuciaks ebenfalls ermordeter Verlobter, Roman
Kvasnica, befürchtete im Gespräch mit ROG, dass Personen, die wie
Glvac mit dem Fall in Verbindung stehen, mit kompromittierendem
Material erpresst werden könnten, um sie zum Schweigen zu bringen und
so die Ermittlungen zu behindern. Besonders brisant ist laut Kvasnica
der Verdacht, dass "Personen, die im Dienste der Slowakischen
Republik standen oder noch stehen, die Voraussetzungen für den Mord
an zwei unschuldigen jungen Menschen geschaffen haben". Kuciak und
seine Verlobte sollen demnach von einem ehemaligen Polizisten
erschossen worden sein, nachdem ehemalige Geheimdienstler ihn
mithilfe von Informationen der Polizei ausspioniert haben sollen.
Kvasnica zeigt sich allerdings zuversichtlich, dass die Ermittlungen
erfolgreich zu Ende geführt werden könnten, dank der Integrität des
Chefermittlers, der auch aufgrund der nationalen wie internationalen
Aufmerksamkeit sicher vor Einflussnahme sei.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Slowakei auf Platz
27 von 180 Staaten, zehn Plätze weiter hinten als im Vorjahr. Weitere
Informationen zur Lage der Pressefreiheit in der Slowakei finden Sie
hier: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/slowakei/
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink / Juliane Matthey
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T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29
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