Rheinische Post: Kommentar:
Leben, Lieben und Arbeiten auf Augenhöhe
Geschrieben am 07-03-2019 |
Düsseldorf (ots) - Die griechische Philosophie, das Römische
Recht, die Kirchenordnung - in einem waren sich die Gelehrten
zweieinhalbtausend Jahre einig: Frauen sind minderwertig und können
gar nicht die gleichen Rechte wie Männer genießen. Heute kann man
über diese Sicht vergangener Jahrhunderte nur den Kopf schütteln.
Eine bizarre Vorstellung, die nur durch Unterdrückung so lange
aufrechterhalten werden konnte. Umso erstaunlicher ist es, wie
schnell und radikal sich die Welt mit der Einführung des
Frauenwahlrechts, das die Frauen in Deutschland erstmals vor 100
Jahren wahrnehmen konnten, verändert hat - von der beruflichen über
die sexuelle Selbstbestimmung bis hin zur Frauenförderpolitik und
einem Familienbild, in dem sich Mutter und Vater gleichermaßen
emanzipiert haben. Der 8. März ist ein Tag, an dem sich Männer und
Frauen gegenseitig zum Leben, Lieben und Arbeiten auf Augenhöhe
beglückwünschen können. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der
Frauenbewegung und der Durchsetzung von Gleichberechtigung. Die
Frauen sind weit gekommen. Das 21. könnte das Jahrhundert der Frauen
werden. Aber nur, wenn sie weitermachen. Es gibt keinen Grund zu
sagen: Jetzt ist es aber mal gut. Baustellen finden sich immer noch -
zum Beispiel der wieder sinkende Anteil von Frauen in Parlamenten,
die schlechtere Bezahlung von Frauen und der immer noch erbärmlich
niedrige Anteil von Frauen in Vorständen von Unternehmen. Aber die
Frauenfrage ist inzwischen eine von Soll und Haben. Mädchen liefern
die besseren Schulnoten, in strukturschwachen Gebieten bleiben oft
schlecht ausgebildete Männer zurück, und manch ein in diesem
Jahrtausend geborener Junge fragt sich, ob in Deutschland eigentlich
auch Männer Kanzler werden können. Das ist durchaus auch ein Thema
für den Frauentag. Gleichberechtigung ist keine Einbahnstraße. In den
Schulen wird man über besondere Angebote und mehr männliche Vorbilder
für Jungen nachdenken müssen, und der Entwicklung, dass sich schlecht
ausgebildete junge einsame Männer politisch radikalisieren, sollte
der Staat auch nicht teilnahmslos zusehen. Beide Geschlechter haben
Förderbedarf auf unterschiedlichen Feldern. Das Grundgesetz schreibt
vor, dass der Staat die Durchsetzung der Gleichberechtigung von
Frauen und Männern fördern und Nachteile beseitigen muss. Für beide.
Am internationalen Frauentag muss der Blick vor allem auch in den
Rest der Welt gehen, insbesondere in jene Länder, die noch kein
Jahrhundert der Frauenbewegung erlebt haben: nach Saudi Arabien, wo
Frauen immer noch von Ehemännern und Brüdern abhängig sind, nach
Afrika, wo Mädchen die Genitalien verstümmelt werden, nach Indien, wo
Frauen vor Vergewaltigungen noch nicht einmal in der Öffentlichkeit
sicher sind, oder nach Syrien, wo der IS vermeintliche
Ehebrecherinnen steinigt. Weltweit leben Millionen Frauen in Angst
und Unterdrückung. Die Frauenrechte weltweit müssen von der deutschen
Außenpolitik noch viel stärker eingefordert werden. Und am Ende ist
der internationale Frauentag auch eine gute Gelegenheit, sich einmal
an die eigene Nase zu fassen. Fordern wir Frauen nur die
Gleichberechtigung ein, oder sind wir auch bereit, Stress,
Verantwortung und Mehrarbeit zu übernehmen, wenn eine
Führungsposition greifbar ist? Fordern wir Frauen die Männer zur
Versorgung der Kinder nur auf, oder trauen wir ihnen die Erziehung
auch zu und sind tatsächlich bereit, in Fragen von Ernährung,
geeigneter Kleidung, Computerspiel-Konsum und Schlafenszeit die Väter
einfach machen zu lassen? Nur wer bei diesen entscheidenden Punkten
auch bereit ist zu springen, kann Beruf und Familie egalitär
aufteilen. Das muss längst nicht für alle die anzustrebende
Lebensweise sein. Im Gegenteil: Die Rollenverteilung in einer
Beziehung sollte den beiden Menschen entsprechen, um die es geht, und
nicht dem Zeitgeist. Entscheidend sind die Freiheit, die Chancen und
das gesellschaftliche Selbstverständnis, die Balance von Karriere und
Privatem unabhängig zu bestimmen.
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Rheinische Post
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