NABU: Studie legt Lobby-Netz des Deutschen Bauernverbands offen
Geschrieben am 29-04-2019 |
Berlin (ots) - Der NABU stellt am heutigen Montag eine neue Studie
vor, die das Netz der Agrarlobby in Deutschland offenlegt. "Unser
Ziel ist es, Transparenz in das enge Beziehungsgeflecht zwischen
Agrarpolitik, Agrarwirtschaft und Bauernverband zu bringen. Denn seit
Jahren werden Entscheidungen gegen das Gemeinwohl getroffen, bei der
Düngeverordnung genauso wie bei der Verteilung der milliardenschweren
Agrarsubventionen. Daher muss transparent sein, wo in Parlamenten und
Wirtschaft Agrarfunktionäre mitreden und welchen Einfluss sie nehmen
können", sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke.
Beauftragt hat der NABU die Studie beim Institut Arbeit und
Wirtschaft (iaw) der Universität Bremen. Mehr als 150 Personen und
Institutionen haben die Wissenschaftler beleuchtet, aus
Finanzwirtschaft, Agrochemie, Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie
Verbänden. Besonderes Augenmerk richteten sie auf den Deutschen
Bauernverband (DBV), die einflussreichste Lobby-Organisation der
deutschen Landwirtschaft. Sichtbar wurden insgesamt 560 Verbindungen
sowie mehrere Netzwerk-Knotenpunkte in Berlin und Brüssel.
Es ist bereits die zweite Studie, die der NABU zu dieser Thematik
in Auftrag gegeben hat. Schon 2002 stellte die Vorgängerstudie fest:
"Nur wenn es gelänge, die Einflüsse von innovationshemmenden
Vertretern aus Bauernverbänden und Ernährungswirtschaft
zurückzudrängen, hätte die Agrarwende eine Chance". Der Rückblick
zeigt: Dies ist nicht gelungen. Seit der Jahrtausendwende hat der DBV
seine Vernetzungsstrukturen ausgebaut, neue Hotspots zur Abstimmung
innerhalb der Branche sind entstanden, die Handlungsmöglichkeiten der
industriellen Landwirtschaft wurden insgesamt gestärkt.
Im Kern beschränkt sich das Netzwerk auf eine kleine Gruppe, die
alle wesentlichen Bereiche der Agrarpolitik und des Agribusiness
abdeckt. Schlüsselpositionen werden strategisch verteilt und von
wenigen Vielfachfunktionären besetzt. Allein DBV-Präsident Joachim
Rukwied bekleidet derzeit mindestens 18 relevante Funktionen,
darunter in den Aufsichtsräten der BayWa AG, Südzucker AG sowie der
R+V Allgemeine Versicherung AG. "Eine solche Ämterhäufung muss zu
Interessenskonflikten führen. Wie der Spitzenvertreter des
Bauernverbandes die unternehmerischen Ziele der Agrar- und
Ernährungswirtschaft mit den Interessen der Landwirte in Einklang
bringen will, ist schleierhaft", so NABU-Präsident Tschimpke. Seit
2017 ist Rukwied zudem Präsident des europäischen Bauernverbandes
COPA. Damit genießt er Zugang zu den Sitzungen der EU-Agrarminister
und entsprechende Einflussmöglichkeiten auf die laufende
Reformdebatte zur künftigen EU-Agrarpolitik und damit auf die
Verteilung des mit Abstand größten EU-Haushaltspostens.
Die Studie zeigt auch: Der DBV ist eng verwoben mit CDU/CSU und
der Europäischen Volkspartei (EVP). Aktuell haben 85 Prozent der
Unions-Mitglieder im Agrarausschuss des Bundestags einen direkten
Bezug zur Agrar- und Landwirtschaft. Fast jeder zweite von ihnen
bekleidete in den letzten Jahren mindestens ein Amt im Bauernverband.
Darunter etwa Johannes Röring, CDU-Bundestagsabgeordneter, Obmann im
Agrarausschuss und zugleich Präsident des Westfälisch-Lippischen
Landwirtschaftsverbandes. Neben seinem Mandat bekleidet er mindestens
14 weitere Funktionen. Er ist zudem aktiv beteiligt an der
Ausgestaltung der Düngeverordnung - und zugleich Vorsitzender im
DBV-Fachausschuss für Schweinefleisch, sein Wahlkreis sowie der
familiäre Schweinemastbetrieb liegen in der Tierhaltungs-Hochburg
Borken.
"Verflechtungen wie diese geben Hinweise darauf, warum notwendige
Reformen oft scheitern und sich Einzelinteressen der Agrarbranche
gegenüber dem Gemeinwohl durchsetzen", so Tschimpke. Auffällig ist
auch, dass der Bauernverband keine direkten Verbindungen zu
Unternehmen der Agrochemie pflegt. Eine Verzahnung erfolgt dennoch,
über Netzwerkknoten. "Dazu dienen vor allem das Forum Moderne
Landwirtschaft (FML) und die Verbindungsstelle
Landwirtschaft-Industrie (VLI), in denen sich die Führungskräfte der
Finanzwirtschaft, des Agrarhandels und Bauernverbands bis hin zur
Agrochemie abstimmen", so Guido Nischwitz, Autor der Studie vom
Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.
Der NABU fordert, den Einfluss der Agrarlobby auf
Gesetzgebungsprozesse künftig stark zu beschränken. "Agrarpolitik
muss dem Gemeinwohl dienen, nicht den Interessen weniger Großbetriebe
und jenen, die an der hoch-intensiven Landwirtschaft mitverdienen,
wie die Hersteller von Pestiziden", so Tschimpke. Dass die DBV-Spitze
mit ihrem Kurs "Wachse oder weiche" zudem gegen die Interessen ihrer
eigenen Mitglieder handelt, zeigt eine aktuelle forsa-Umfrage unter
deutschen Landwirten: Mehr als jeder zweite von ihnen fühlt sich vom
DBV schlecht vertreten, 68 Prozent sind unzufrieden mit der aktuellen
EU-Agrarpolitik. Die überwiegende Mehrheit wünscht sich mehr
Förderung für eine tierfreundlichere Viehhaltung (91 Prozent) und
umweltfreundliche Produktion (83 Prozent). Doch entsprechende
Maßnahmen blockiert DBV-Präsident Rukwied bisher in Brüssel.
Darüber hinaus empfehlen die Studienautoren die Einführung eines
Lobbyregisters in Deutschland. Dieses sei bisher am Widerstand der
CDU/CSU-Fraktion gescheitert. Entscheidungen, etwa zum Düngerecht
oder zur Verschiebung des Verbots der betäubungslosen
Ferkelkastration bis Ende 2020, können bislang nicht nachvollzogen
werden. Zudem empfehlen sie, den Umweltbereich und die Politik für
ländliche Räume künftig aus dem vorrangigen Zugriff der Agrarpolitik
zu lösen und somit den Einfluss der Agrarlobby zu verringern.
Über die Studie und die Verflechtungen zwischen Großbetrieben der
Agrarwirtschaft, Bauernverband und Ernährungsindustrie berichtet die
ARD am heutigen Montag um 22:55 Uhr in der Reportage "Die Story im
Ersten": http://ots.de/GS5P7e
Die vollständige Studie finden Sie heute ab ca. 20:00 Uhr unter:
www.NABU.de/agrarlobby
Kostenfreie Pressebilder (und Grafiken zur Studie ab ca. 20:00
Uhr): www.NABU.de/pressebilder_landwirtschaft
Ergebnisse der forsa-Umfrage unter Landwirten:
www.NABU.de/umfrage-landwirtschaft
Pressekontakt:
Iris Barthel, NABU-Pressereferentin, Tel. 030-284984-1952, E-Mail:
presse@NABU.de
Dr. Guido Nischwitz, Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw),
Universität Bremen, Tel. 0421-218-61735, E-Mail:
gnischwitz@uni-bremen.de
Original-Content von: NABU, übermittelt durch news aktuell
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