NOZ: Affäre Strache: Wulff warnt vor Bespitzelungswelle und aufgeweichten Grundrechten
Geschrieben am 23-05-2019 |
Osnabrück (ots) - Affäre Strache: Wulff warnt vor
Bespitzelungswelle und aufgeweichten Grundrechten
"Wie früher in der Sowjetunion" - Ex-Präsident fürchtet Nachahmer
Osnabrück. Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hat
angesichts der Regierungskrise in Österreich vor Nachahmern, maßloser
Bespitzelung und einer Aufweichung von Grundrechten gewarnt. Auf
einer Podiumsdiskussion der "Neuen Osnabrücker Zeitung" zum 70.
Geburtstag des Grundgesetzes sagte Wulff, es sei schrecklich, dass es
rechtspopulistische Parteien wie die FPÖ gebe, und erschreckend, dass
sie Zulauf erhielten. Aber: "Ich erinnere an Artikel 13 des
Grundgesetzes, die Unverletzlichkeit der Wohnung."
Wenn jemand in der Öffentlichkeit "dummes Zeug" rede und dies mit
den heute allgegenwärtigen Handys aufgenommen werde, müsse jeder dazu
stehen. "Im Fall Strache reden wir aber über eine systematisch
verwanzte private Räumlichkeit mit sechs Kameras und einer
fortlaufenden Überwachung von sechs Stunden Dauer." Es habe der
Vorsatz bestanden, kompromittierendes Material zu erstellen "wie
früher in der Sowjetunion". Dass dies eindeutig illegal sei, dürfe
nicht aus dem Blick geraten, auch wenn eine spätere Veröffentlichung
unter Umständen trotzdem rechtens sein könne. "Muss ein Prominenter
künftig immer damit rechnen, dass seine Ferienwohnung mit
Abhörtechnik versehen ist?", fragte Wulff.
Heinz-Christian Strache musste als österreichischer Vizekanzler
und FPÖ-Chef zurücktreten, nachdem ein Video bewies, dass er vor der
Wahl in einer fingierten Gesprächssituation einer vorgeblich reichen
Russin Vorteile als Gegenleistung für Wahlhilfe in Aussicht gestellt
hatte. Ohne Frage seien hier Tatsachen von großer Relevanz bekannt
geworden, sagte Wulff. Er könne jeden Journalisten verstehen, der
solche Informationen veröffentliche. Trotzdem seien im selben Zuge
Grundrechte verletzt worden und die Abwägung schwierig. Er hätte eine
diskretere Lösung bevorzugt.
Wulff warnte insbesondere davor, dass der Fall Strache Nachahmer
animieren könne. "Wer sagt uns, dass nicht alle Welt jetzt mit
versteckten Geräten oder seinem Handy versucht, Dinge aufzudecken,
die ihm nicht gefallen, oder seinen Gegnern zu schaden", fürchtete
Wulff, dass das Beispiel der Bespitzelung im Dienste einer aus
eigener Sicht berechtigten Sache Schule machen könne.
Wulff hatte im Jahr 2012 aufgrund politischer Vorwürfe und des
Verdachts der Vorteilsnahme vom Amt des Bundespräsidenten
zurücktreten müssen, wurde aber später freigesprochen und
rehabilitiert. Auf dem Höhepunkt der Affäre wurden persönliche
Mailboxnachrichten und ehrverletztende Aussagen über ihn und seine
Familie veröffentlicht und hatten sich Journalisten in Mülltonnen vor
Wulffs Haus versteckt und Supermarkteinkäufe des Politikers
ausgespäht. Der 59-Jährige, der heute wieder als Rechtsanwalt
arbeitet, wehrte sich im Anschluss vor Gericht in fast allen Fällen
erfolgreich gegen zahlreiche Behauptungen und überschrittene Grenzen
der damaligen Berichterstattung.
Die frühere Verfassungsrichterin Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff,
die ebenfalls an der NOZ-Diskussion am Dienstabend in Osnabrück
teilnahm, bestätigte, dass das Video zweifellos illegal entstanden
sei. Allerdings verwies die Spezialistin für Öffentliches Recht auf
die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach
Persönlichkeitsrechte und öffentliche Belange abzuwägen seien und
eine Veröffentlichung illegal erworbenen Materials trotzdem rechtens
sein könne. Persönlich sehe sie dies im Fall Strache wegen seiner
gravierenden Dimension als vermutlich gegeben an, ohne sagen zu
wollen, dass ein Gericht zwangsläufig zum selben Schluss kommen
müsse.
Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion
Telefon: +49(0)541/310 207
Original-Content von: Neue Osnabrücker Zeitung, übermittelt durch news aktuell
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