Börsen-Zeitung: Tauben in Vilnius,
Kommentar zur EZB von Julia Wacket
Geschrieben am 06-06-2019 |
Frankfurt (ots) - Zwar waren es am Donnerstag keine echten Tauben,
die über dem Himmel von Vilnius geflogen sind, geldpolitisch gab sich
die Europäische Zentralbank (EZB) jedoch so taubenhaft wie sie nur
konnte. Die Notenbank verschaffte sich mehr Spielraum, ohne die
Zinsen direkt anzutasten. Sie verschob die Leitzinswende um ein
halbes Jahr und lässt sich damit alle Optionen offen, um flexibel auf
die vielen Risiken zu reagieren, denen sich die Eurozone ausgesetzt
sieht. Das ist zwar nachvollziehbar, denn eine außergewöhnliche
Weltpolitik erfordert sicherlich auch eine außergewöhnliche
Geldpolitik. Trotzdem ist die erneute Verschiebung des Ausstiegs aus
der ultralockeren Geldpolitik ein schlechtes Zeichen - zumal selbst
Draghi kein Interesse hat, den eigentlich vorgesehenen Abschied von
Negativzinsen abzubrechen.
Dass es dazu kommen musste, ist aber nicht die Schuld von Draghi,
Powell und Co., sondern vor allem die von Trump, Salvini und Co. Bis
auf die schwache Inflation sind es vor allem die zahlreichen globalen
Brandherde wie Handelsstreit, Haushaltsstreit und Brexit, die die
weltweite Konjunktur bedrohen und die Notenbanken in Bedrängnis
bringen. Ohne die politischen Risiken ginge es der Wirtschaft
eigentlich gut.
Und als ob eine chaotische Politik nicht genug wäre, sind es auch
die Märkte, die den Spielraum der Notenbanker eingrenzen. Denn diese
wetten schon seit geraumer Zeit auf Zinssenkungen und haben wenig
Vertrauen, dass die Geldpolitiker die Inflation angesichts der vielen
Konflikte in den Griff bekommen. Auch an sie hatte Draghi eine
wichtige Botschaft, nämlich dass die EZB die Zinsen zwar erst mal
nicht anheben, aber auch nicht senken wird. Er hat somit mit seinem
wichtigsten geldpolitischen Instrument den Zinssenkungserwartungen
der Märkte den Wind aus den Segeln genommen. Auch der nächste
EZB-Präsident - selbst wenn er Deutscher wäre - würde an dieser
Forward Guidance nichts ändern können, sollten die Risiken nicht
verschwinden.
Zwar verwies Draghi darauf, dass er noch andere geldpolitische
Instrumente im Ärmel habe und auch nutzen könnte. Wirklich tun will
er dies aber nicht, da die Zinsen schon unter der Nullgrenze liegen
und das Anleihekaufprogramm erst vor kurzem beendet wurde. Umso
wichtiger ist es aber, dass Notenbanken in diesen unsicheren Zeiten
darauf verweisen, dass andere wirtschaftspolitische Bereiche,
insbesondere die Fiskalpolitik, ihre Hausaufgaben erledigen müssen.
Draghi richtete bereits mahnende Worte an Italien und die USA.
Hoffentlich hat man dort zugehört.
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Redaktion
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