Science History Institute erwirbt während der NS-Zeit aus Deutschland herausgeschmuggeltes Archiv
Geschrieben am 02-07-2019 |
Sammlung des deutsch-jüdischen Chemikers Georg Bredig dokumentiert
die Pionierjahre der Physikalischen Chemie in Europa und das Leid der
Juden, die versuchten, der Verfolgung durch die Nationalsozialisten
zu entkommen
Philadelphia (ots/PRNewswire) - Das Science History Institute hat
eine beeindruckende Sammlung erwerben können, die Korrespondenz,
Bücher, Fotos und wissenschaftliche Notizen des deutsch-jüdischen
Chemikers Georg Bredig umfasst. Die Sammlung erstreckt sich über
Jahrzehnte, vom späten 19. Jahrhundert, als sich das Teilgebiet der
Physikalischen Chemie herausbildete, bis in die 1930er Jahre und zu
den Schrecken, denen die jüdische Gemeinschaft nach der
nationalsozialistischen Machtergreifung ausgesetzt war. Der Erwerb
dieses bislang unveröffentlichten Archivs wurde durch die großzügige
Unterstützung der Walder Foundation ermöglicht.
"Die Überführung der Sammlung in das Science History Institute
erfüllt Georg Bredigs Wunsch, diese Dokumente so zu erhalten, dass
zukünftige Generationen aus ihnen lernen können", sagt Robert
Anderson, President und CEO des Science History Institute. "Sie sind
nicht nur für die Wissenschaftsgeschichte, sondern auch für
Holocaust-Forscher von Bedeutung".
"Als langjährige Förderer der Holocaust-Aufklärung sind Dr. Walder
und ich stolz darauf, den Erwerb des Bredig-Archivs unterstützen zu
können", erklärt Elizabeth Walder, President und Executive Director
der Walder Foundation. "Wir wissen, dass diese Sammlung sowohl
Geschichts- als auch Naturwissenschaftlern einen einzigartigen
Blickwinkel bietet, um bislang unbekannte Aspekte aus dieser extrem
wechselvollen Periode der Weltgeschichte aufzudecken".
Bredig führte die Methode der Modellreaktionen in die katalytische
Forschung ein, entdeckte und erforschte neue katalytische
Erscheinungen, und entdeckte und untersuchte die asymmetrische
Katalyse. Er erforschte auch die Beziehungen zwischen katalytischer
Aktivität und physikalischem Zustand von Metallen. Die frühesten
Dokumente des Archivs - aus dem späten 19. Jahrhundert - zeigen das
Teilgebiet der Physikalischen Chemie in seinen Anfangsjahren und
umfassen eine umfangreiche Korrespondenz mit den Gründervätern des
Fachs, darunter die ersten Nobelpreisträger für Chemie wie Jacobus
Henricus van't Hoff, Svante Arrhenius, Fritz Haber und Wilhelm
Ostwald. Die nach 1933 datierten Bestandteile der Sammlung
dokumentieren eine ganz andere Geschichte. Bredig kämpfte, zusammen
mit seiner Familie und seinen jüdischen Kollegen, unter dem zunehmend
repressiven Regime der Nationalsozialisten ums Überleben. Einigen
gelang die Flucht in andere Länder, andere hatten nicht so viel
Glück. Die Briefe, in denen sie ihre Situation ausführlich
beschreiben, geben Aufschluss über das damalige Leben, von der Bitte
um Nahrung und Kleidung für Gefangene bis hin zum Wunsch, ihre Arbeit
und ihr normales Leben wieder aufnehmen zu dürfen. Zahlreiche Briefe
und Dokumente nehmen Bezug auf Bredigs Versuche, das
nationalsozialistisch besetzte Europa zu verlassen. In der Sammlung
finden sich außerdem seine deutschen Ausweispapiere und sein
Reisepass, beide jeweils mit einem "J" gekennzeichnet.
Bredig sah kommen, dass die Nationalsozialisten aller
Wahrscheinlichkeit nach seine persönliche Bibliothek und sein Archiv
vernichten würden, und seine Bemühungen, diesen Bestand zu sichern,
kosteten ihn fast das eigene Leben. In einem Brief an seinen Sohn Max
im Jahr 1939 schreibt Bredig, "Gestern habe ich dir als Paket drei
grün eingebundene Bücher als Band I-III meiner gesammelten Werke
zugesandt. Die restlichen grün eingebundenen Bände IV-VII werden
nächste Woche oder etwas später nachkommen. . . . Es liegt mir sehr
am Herzen, dass sowohl ersteres als auch letzteres nach meinem Tod in
gute Hände gelangt (für einen Nachruf und als Referenz). Falls du die
Sendungen nicht behalten willst, gib sie an eine
Universitätsbibliothek, vorzugsweise eine Bibliothek im Ausland, oder
an einen guten Freund. Unter keinen Umständen möchte ich, dass die
Sendungen vergeblich waren oder verloren gehen, verschenkt oder
weggeworfen werden! Sie sollen Zeugnis über mein Lebenswerk ablegen".
Die Sammlung wurde aus dem nationalsozialistischen Deutschland ins
van't Hoff Labor in den Niederlanden geschmuggelt, verblieb dort
während des Krieges, und wurde 1946 an die Familie Bredig in den
Vereinigten Staaten überstellt.
Die von der Laurie Landeau Foundation gewährte finanzielle
Unterstützung ermöglicht die Erhaltung und Bewahrung des Archivs. Das
Institut plant, die Sammlung in den kommenden Monaten der Forschung
zur Verfügung zu stellen und entsprechende öffentliche Programme zu
entwickeln.
Informationen zu Georg Bredig (1868-1944)
Georg Bredig war ein brillanter Chemiker mit einer glänzenden
Karriere in Wissenschaft und Lehre. Er hatte Lehraufträge an
Universitäten in ganz Nordeuropa und wurde 1911 zum Professor für
Physikalische Chemie an der Technischen Hochschule in Karlsruhe,
Deutschland, ernannt. Ihm wurde jedoch 1933, als die
Nationalsozialisten begannen, Berufsverbote für die jüdische
Bevölkerung zu verhängen, die Zulassung als Wissenschaftler entzogen.
Bredig wurde in den Ruhestand gezwungen und 1938, in der
Kristallnacht, verhaftet, aber später wieder freigelassen. 1939
gelang ihm mit Hilfe eines jüdischen Kollegen, dem Chemiker Ernst
Cohen, die Flucht aus Deutschland. Viele von Bredigs Kollegen,
Freunden und Familienmitgliedern hatten nicht so viel Glück. Cohen
kam in den Gaskammern von Auschwitz ums Leben. Alfred Schnell,
ebenfalls Chemiker und ein Kollege von Bredigs Sohn, wurde gemeinsam
mit seiner Ehefrau von Nazi-treuen holländischen Soldaten
hingerichtet. Die Geschichte ihres jahrelangen geheimen Exils in den
Niederlanden ist heutzutage gut dokumentiert, bis zum Auftauchen
dieser Sammlung war jedoch nicht bekannt, dass sie von ihrem Versteck
aus Briefe geschrieben hatten.
Max Bredig verließ Deutschland zwei Jahre vor seinem Vater und
machte sich sofort daran, den Rest seiner Familie aus Europa
nachzuholen und anderen Menschen den gleichen Weg zu ermöglichen.
Bredigs Tochter Marianna und ihr Ehemann Viktor verbrachten mehr als
ein Jahr in Internierungslagern, bevor sie 1941 schließlich in die
Vereinigten Staaten gelangten. Als Bredig im November 1939 ein
schriftliches Stellenangebot vom Präsidenten der Princeton University
erhielt, konnte Max endlich ein Visum für seinen Vater bewirken.
Georg Bredig erreichte die Vereinigten Staaten im Jahre 1940 und
lebte in gesundheitlich schlechtem Zustand bis zu seinem Tod am 24.
April 1944 bei seinem Sohn in New York City.
Informationen zum Science History Institute
Das Science History Institute sammelt und vermittelt die
Geschichten von Innovatoren und von Entdeckungen, die unser Leben
prägen. Es bewahrt und pflegt die Geschichte der Chemie, des
Chemieingenieurswesens, und der Biowissenschaften. Das Science
History Institute mit Hauptsitz in Philadelphia und Büros in
Kalifornien und Europa verfügt über ein Archiv und eine Bibliothek
für Historiker und Forscher, bietet ein Stipendienprogramm für
Gastwissenschaftler aus aller Welt und Raum für eine Gemeinschaft von
Forschern, die sich mit historischen und aktuellen Themen
beschäftigen. Angeschlossen sind ein namhaftes, kostenloses und
öffentlich zugängliches Museum und ein hochmodernes Konferenzzentrum.
Informationen zur Walder Foundation
Die Walder Foundation ist eine im Großraum Chicago ansässige
private Familienstiftung, die Organisationen und Einzelpersonen
Ressourcen und Werkzeuge zur Verfügung stellt, um durch strategische
Programme mit Schwerpunkt auf darstellende Kunst, Förderung der
Nachhaltigkeit, Interessenvertretung von Zuwanderern, jüdisches Leben
und wissenschaftliche Innovation eine tragfähige Zukunft aufzubauen.
Pressekontakt:
Hope Koseff Corse
hcorse@sciencehistory.org
215.873.8294
Foto -
https://mma.prnewswire.com/media/941837/SHI_Heritage_Day_2019_179.jpg
Original-Content von: Science History Institute, übermittelt durch news aktuell
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