Der Tagesspiegel: Nachfahren geflohener Juden fordern deutsche Staatsbürgerschaft
Geschrieben am 13-07-2019 |
Berlin (ots) - Trotz entsprechender Vorgaben des Grundgesetzes
bekommen viele Nachfahren geflohener deutscher Juden keine deutsche
Staatsbürgerschaft. "Einige kämpfen schon seit 20, 30 Jahren um den
deutschen Pass", sagte Nick Courtman, der Sprecher der nach dem
Artikel im Grundgesetz benannten Gruppe "116" dem "Tagesspiegel"
(Samstagausgabe). Er vertritt die Interessen von über 100 Briten, die
als Nachfahren geflohener Juden die Staatsbürgerschaft wollen. Aber
eine Besonderheit des deutschen Rechts schließt unter anderem Kinder
und Enkelkinder von jüdischen Müttern aus, die aus dem Deutschen
Reich geflohen sind und dann aber einen Briten geheiratet haben. Der
Brexit, der nahende Verlust des Status als EU-Bürger, hat in
Großbritannien zu Dutzenden neuen Anträgen an die deutschen Behörden
geführt, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen. Auch
Courtman, Enkel einer geflohenen Jüdin, will sie: Die Nachfahren
verfolgter Juden hätten nach dem NS-Unrecht die Chance verdient,
allesamt die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, betont er.
80 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wächst der Druck,
das Grundgesetz hier mehr zugunsten der Nachfahren geflohener Juden
auszulegen. Der Artikel 116 GG wurde durch mehrere Änderungen im
Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) immer wieder präzisiert. Da er sehr
gut deutsch kann, hat Courtman die Kommunikation mit der
Bundesregierung und deutschen Innenpolitikern im Bundestag übernommen
(mit Ausnahme der AfD).
Abgelehnt wird bisher auch der Antrag von Alexander Goldbloom, der
dem "Tagesspiegel" seine Geschichte geschildert hat: "Mein Antrag auf
die deutsche Staatsbürgerschaft wurde im April 2017 mit der
Begründung abgelehnt, dass ich die Anforderungen von Artikel 116
Absatz 2 nicht erfülle." In seinem Fall erklärte das
Bundesverwaltungsamt in Berlin, dass seine Großmutter (Anita
Lippmann) im November 1933 seinen Großvater (einen Engländer -
Abraham Goldbloom) geheiratet und daher ihre deutsche
Staatsbürgerschaft bei der Eheschließung automatisch aufgegeben habe.
Seine Oma wurde 1906 in Berlin-Charlottenburg geboren.
Wegen der vielen Beschwerden wächst auch im Bundestag die
Unterstützung. "Ich finde es unwürdig, wie mit den Nachfahren der
vertriebenen Antifaschisten und NS-Opfer umgegangen wird", sagte die
Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke dem "Tagesspiegel". "Es liegt ja auf
der Hand, dass ihre Eltern nicht 'freiwillig' die deutsche
Staatsangehörigkeit aufgegeben haben, sondern dass dies in direktem
Zusammenhang mit ihrer erzwungenen Flucht aus Nazi-Deutschland
stand." Deshalb dränge sie die Bundesregierung dazu, die
diskriminierenden Regelungen in der Wiedereinbürgerungspraxis zu
beseitigen. Das könne bereits durch eine kleine, aber einschneidende
Klarstellung im Staatsangehörigkeitsgesetz geschehen: "Alle
Nachfahren von Personen, die vor den Nazis aus rassistischen oder
politischen Gründen fliehen mussten und ihre deutsche
Staatsangehörigkeit verloren haben, sollen einen Rechtsanspruch auf
Wiedereinbürgerung haben." Und zwar unabhängig davon, wen ihre Eltern
geheiratet haben oder wann sie geboren worden sind. Auch das
zuständige Bundesinnenministerium betonte auf Nachfrage des
"Tagesspiegel": "Die Gesamtheit der staatsangehörigkeitsrechtlichen
Wiedergutmachungsregelungen ist außerordentlich komplex und heterogen
ausgestaltet".
https://www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-geflohene-juden-deut
schland-blockt-einbuergerung-von-nachfahren-geflohener-nazi-opfer-ab/
24588776
Rückfragen richten Sie bitte an: Der Tagesspiegel, Newsroom,
Telefon 030-29021-14909
Pressekontakt:
Der Tagesspiegel
Chefin vom Dienst
Patricia Wolf
Telefon: 030-29021 14013
E-Mail: cvd@tagesspiegel.de
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