Deutsche Jugendliche berichten über Gewalt im rumänischen Jugendheim
Geschrieben am 11-09-2019 |
Hamburg (ots) - Im Fall der Misshandlungsvorwürfe gegen ein von
Deutschen betriebenes Heim für Schwererziehbare in Rumänien sind neue
Details bekannt geworden. Nach NDR-Informationen haben drei
Jugendliche und ein junger Erwachsener rumänischen Ermittlern
ausführlich von Gewalterlebnissen, Zwangsarbeit und Isolationsstrafen
berichtet. Dies geht aus Vernehmungsprotokollen der rumänischen
Ermittlungsbehörden hervor, die der NDR einsehen konnte. Der deutsche
Träger der Jugendhilfeeinrichtung in der nordrumänischen Region
Maramures, die "Kinder- und Jugendhilfe Wildfang GmbH" im
niedersächsischen Bothel, bestreitet die Vorwürfe.
In den Vernehmungsprotokollen der rumänischen
Sonderstaatsanwaltschaft für die Untersuchung von organisierter
Kriminalität und Terrorismus (DIICOT) wird an mehreren Stellen von
Prügelattacken und körperlicher Gewalt berichtet. So sagte ein
18-Jähriger aus Nordrhein-Westfalen: "Wenn wir irgendeinen Fehler
machten, wurden wir mit Prügel bedroht und übel verprügelt." Zwei
Heimmitarbeiter hätten ihm in so einem Fall einmal die Nase
gebrochen, ihn aber erst Stunden später in ein Krankenhaus gefahren.
Dem an einem Nervenleiden Erkrankten seien nach eigenen Angaben
während seines Aufenthalts in der Einrichtung seine Medikamente
vorenthalten worden. Eine 15-Jährige, ebenfalls aus
Nordrhein-Westfalen, berichtete von Schwerstarbeit, zu der sie
gezwungen worden sei: "Wenn ich mich weigerte, wurde ich bestraft und
geschlagen." Ein 17-Jähriger aus Hessen sagte, es gebe in der Nähe
der Einrichtung ein "verlassenes Haus, wo wir hingebracht wurden, um
bestraft zu werden- mit Zwangsarbeit, Schlägen, wenig Essen und
Isolation."
Vertreter des Trägers "Kinder- und Jugendhilfe Wildfang" sagten im
Interview mit dem NDR Politmagazin "Panorama 3", sie könnten die
schweren Vorwürfe einiger Jugendlicher nicht nachvollziehen. Es gebe
in der Jugendhilfeeinrichtung keine Bestrafungen, so Philipp
Ghassemieh, Verantwortlicher für die Auslandsprojekte: "Es ist
überhaupt nicht unsere Aufgabe zu bestrafen, sondern wir erziehen.
Und das ist dann eine Schutzmaßnahme für die Jugendlichen." Dass
Jugendliche angäben, sie seien in einigen Momenten gegen ihren Willen
festgehalten worden, treffe zwar wahrscheinlich zu. In einer Krise
sei ein solches gewaltsames Festhalten jedoch notwendig, um eine
Selbst- und Fremdgefährdung auszuschließen, so Geschäftsführer Dirk
Precht. Auch dem Vorwurf der Zwangsarbeit widersprachen die Vertreter
des Trägers. Die Jugendlichen waren nach dem Scheitern von
Erziehungsmaßnahmen im Inland nach Rumänien geschickt worden, wo sie
zunächst in dem Heim lebten und anschließend in Bauernfamilien
aufgenommen wurden. Es gebe in diesen Familien einen "strukturierten
Tagesablauf", zu dem auch Hofarbeiten gehörten. Dabei handle es sich
aber keineswegs um Zwangsarbeit.
Ein Sprecher des niedersächsischen Landesamts für Soziales, Jugend
und Familie erklärte, im Schnitt seien alle zwei Monate
Jugendamtmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in der Einrichtung in
Rumänien: "Nach Auskunft der betreffenden Jugendämter gab es zuletzt
keine Beanstandungen." Angesichts von Vorfällen beobachte auch das
Bundesfamilienministerium die Erlebnispädagogik im Ausland "besonders
aufmerksam", so ein Sprecher auf Anfrage des NDR: "Und natürlich
gehen wir den Misshandlungsvorwürfen gegen das Projekt Maramures
nach. Grundsätzlich halten wir eine weitergehende Schärfung und
Qualifizierung der Regelungen zu Auslandsmaßnahmen für notwendig.
Insbesondere erscheinen die Kontrollen gegenwärtig nicht hinreichend
und müssen verschärft werden."
Die rumänischen Behörden hatten Ende August eine Razzia in der
Einrichtung in Maramures durchgeführt. Dabei waren fünf Mitarbeiter,
darunter der deutsche Leiter, festgenommen und Bargeld in Höhe von
knapp 150.000 Euro beschlagnahmt worden. Die Vorwürfe lauten unter
anderem auf Freiheitsberaubung und Menschenhandel. Die Festgenommenen
sind rumänischen Medienberichten zufolge noch immer in
Untersuchungshaft. Die Ermittlungen der rumänischen Behörden sind im
Gange.
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Frank Jahn
Tel.: 040 / 4156-2301
Mail: f.jahn@ndr.de
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